„Der Irrsinn geht weiter“ Verhandlungen über Brexit-Handelspakt sind zäh

London/Brüssel · Klappt es rechtzeitig zu Weihnachten noch mit einem Brexit-Abkommen? Vielerorts ist Zuversicht zu hören. Doch echte Bewegung sieht anders aus.

Foto: dpa/Virginia Mayo

In den Verhandlungen über einen Brexit-Handelspakt hat sich kurz vor Weihnachten vorsichtiger Optimismus angedeutet. Die EU-Staats- und Regierungschefs stünden bereit, ein Abkommen mit Großbritannien zu billigen, sagte der irische Ministerpräsident Micheal Martin am Mittwoch. Der britische Bauminister Robert Jenrick zeigte sich „einigermaßen optimistisch“, dass ein Handelspakt zustande kommt. Europaabgeordnete sahen ebenfalls Chancen, kritisierten jedoch die anhaltende Unsicherheit.

„Der Irrsinn geht weiter“, sagte der SPD-Brexit-Experte Bernd Lange der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. „Es ist nicht akzeptabel, dass Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen wenige Tage vor dem 1. Januar nicht wissen, wie es weiter geht, und das in einer Lage, die sich wegen der Corona-Pandemie verschärft.“

Am 31. Dezember läuft eine Übergangsfrist aus. Dann scheidet Großbritannien aus dem Binnenmarkt und der Zollunion aus. Ohne Anschlussvertrag drohen Zölle und Handelshemmnisse sowie verschärfte Warenkontrollen an den Grenzen. Schon jetzt stauen sich auf britischer Seite Tausende Lastwagen auf dem Weg auf den Kontinent, weil Frankreich wegen des mutierten Coronavirus zeitweise die Grenze abgeriegelt hatte - aus Sicht von Kritikern ein Vorgeschmack auf die Lage bei einem No-Deal-Brexit.

Auch Lange schätzte die Chancen auf Einigung vorsichtig optimistisch ein: „Ich gehe davon aus, dass beide Seiten einen Deal bekommen werden. Im Moment stehen die Chancen so.“

Linken-Fraktionschef Martin Schirdewan kritisierte jedoch den Verzug. Er sagte der dpa, da immer noch kein Abkommen stehe, blieben nur noch schlechte Optionen. Aber: „Der schlechteste der schlechten Optionen wäre der No Deal. Damit würden negative soziale Folgen und Jobs riskiert. Das muss vermieden werden.“ Die beste Möglichkeit wäre, die Brexit-Übergangsfrist zu verlängern, sagte der Linken-Politiker.

Das forderte auch der britische Gesundheitsdienst NHS. Ein Aufschub um einen Monat werde dem NHS Zeit geben, sich aus der „unmittelbaren Gefahrenzone“ zu bringen, hieß es in einem Brief der NHS-Spitze. Dann könne sich der Dienst auf die Bekämpfung der Pandemie konzentrieren, ohne dass ein No-Deal-Brexit „störende Veränderungen“ mit sich bringe. Befürchtet wird etwa, dass sich die Lieferung dringend benötigter Medikamente und medizinischer Geräte verzögert, wenn es mangels eines Abkommens zu Staus kommen sollte.

Minister Jenrick betonte beim Sender Sky News, es gebe weiter „die gleichen schwerwiegenden Meinungsverschiedenheiten“ zu Fischereirechten und gleichen Wettbewerbsbedingungen. „Im Moment gibt es keine ausreichenden Fortschritte. Es ist kein Abkommen, bei dem der Premierminister (Boris Johnson) das Gefühl hat, dass er es unterschreiben kann“, sagte Jenrick. Der Verhandlungsstand respektiere nicht die umfängliche Souveränität Großbritanniens als unabhängige Nation. „Der Premierminister hat sehr deutlich gemacht, dass er bis zum Ende verhandeln wird, und das ist der 31. Dezember.“

Der Brexit hat auch Folgen für Zehntausende Deutsche in Großbritannien. Die deutsche Botschaft in London sieht noch großen Nachholbedarf bei den Anträgen von Deutschen und anderen EU-Bürgern auf ein Bleiberecht. Ende September hatten sich nach Angaben des Innenministeriums in London 111 420 Deutsche um ein Bleiberecht beworben. Insgesamt leben etwa 144 000 Deutsche im Land.

EU-Bürger, die in Großbritannien leben, müssen unter dem sogenannten EU Settlement Scheme einen Antrag auf Bleiberecht stellen. Dieser Status soll ihnen nach dem Brexit die gleichen Rechte im Land sichern wie zuvor.

Bürger aus der EU, die erst nach dem 1. Januar ins Land kommen wollen, werden Visa und eine Zusage nach dem neuen britischen Immigrationssystem benötigen, um in Großbritannien leben und arbeiten zu dürfen. Insgesamt haben sich nach Angaben des britischen Innenministeriums bis Ende November knapp 4,5 Millionen EU-Bürger für das Bleiberecht im Land beworben.

(dpa)