Der Katholikentag und die schmerzhafte Suche nach Frieden
„Suche Frieden“ ist Leitwort des christlichen Laientreffens in Münster. So viele Menschen wie seit Jahrzehnten nicht mehr fühlen sich davon angezogen.
Münster. Es ist ein friedliches Bild an diesem Feiertagsmorgen in der Münsteraner Altstadt. Eine Kellnerin deckt die Tische auf dem Platz vor dem „Großen Kiepenkerl“ ein. Ein Fahnenaufsteller mit dem Katholikentags-Leitwort „Suche Frieden“ richtet sich nach den Windbewegungen aus. Nur die zwei Osterkerzen an dem Brunnen auf dem Platz irritieren. Vor einem Monat endete eine Amokfahrt an dieser Stelle für vier Menschen tödlich.
Von dem Gasthaus sind es nur wenige hundert Meter bis zum Domplatz. Der Weg führt vorbei an schwarz verkleideten Wassertanks, die die Zufahrt zu den Veranstaltungs-Herzstücken des christlichen Laientreffens versperren. In ihrer düsteren Ausstrahlung wirken die Barrieren wie Mahnmale der Traurigkeit über einen Verlust an Leichtigkeit. Auf dem Domplatz sind die Schutzgitter der Bäume inzwischen von Kindern erobert worden, die besser sehen wollen. Der Familiengottesdienst zu Christi Himmelfahrt wird vom Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ ausgerichtet. Und es gibt diesen Moment während der Fürbitten, da richten sich auch die 10 000 Besucher aus: nach Osten, Süden, Westen, Norden — und gen Himmel. Der Blick nach Norden ist den Menschen gewidmet, die Opfer der Amokfahrt wurden. „Wir beten für Frieden in der Stadt Münster.“ Der Blick nach Süden gilt Afrika und den Menschen, die Leib und Leben riskieren für eine bessere Zukunft. „Wir beten für Frieden auf diesem Kontinent.“
Der Altar auf der Bühne besteht aus Schiffsplanken, die von Kindern bunt bemalt wurden. Noch viel mehr Planken finden sich weiter draußen auf dem Vorplatz vor der Halle Münsterland. Dort bilden sie ein symbolisches Flüchtlingsboot. „Wir wollen, dass keine Menschen auf der Flucht sterben“, ist auf einem Plakat zu lesen. Mehr als 20 000 Kinder und Jugendliche aus ganz Deutschland haben sich an der Aktion „Leben retten!“ der Sternsinger beteiligt.
Catherine Biira, Direktorin des Instituts für regionale Integration und Entwicklung in Nairobi
Dreieinhalb Stunden später konkretisiert sich der Blick nach Afrika im Hörsaalgebäude der Westfälischen Wilhelms-Universität. Während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf einer parallelen Veranstaltung angesichts des US-Ausstiegs aus dem Iran-Atomabkommen von einem „wirklichen Rückschlag für die Friedensdiplomatie“ spricht, widmet sich Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) im überfüllten Hörsaal 3 unter dem Titel „Afrika und Europa — gemeinsame Zukunft in einer gerechten Welt?“ einem anderen großen Weltkrisenherd, der Jahr für Jahr Hunderttausende dazu bewegt, den gefährlichen Weg über das Mittelmeer anzutreten. Da hat es schon eine fast zynische Doppeldeutigkeit, wenn Müller sich von Catherine Biira, Direktorin des Instituts für regionale Integration und Entwicklung in Nairobi, anhören muss: „In einer globalen Welt schwimmen die Haie im selben Wasser wie die schwächeren Fische.“
Und wie so oft verlieren sich die Eindeutigkeiten, je differenzierter die Betrachtung ausfällt. Es ist kein Aktivist der Eine-Welt-Bewegung, sondern der CSU-Minister, der von einem „Neokolonialismus der westlichen Industriestaaten“ spricht: „Die internationalen Konzerne sichern sich die Ressourcen Afrikas.“ Ob Lithium, Kobalt oder Gold: Smartphones und E-Mobilität sind ohne afrikanische Rohstoffe nicht denkbar. „Für eine gerechte Globalisierung brauchen wir keinen freien, sondern fairen Handel.“ Müller bekräftigt, er benötige dazu in den internationalen Krisengebieten der Welt auch die Kirchen. Sie seien selbst dort vertreten, wo staatliche Strukturen kaum existierten. „Die katholische Kirche ist die größte Friedens- und Entwicklungsbewegung in der Welt.“
Aber es sind eben nicht nur die westlichen Konzerne oder die Chinesen, die vielen afrikanischen Staaten trotz eines Reichtums an Bodenschätzen die Entwicklungsmöglichkeiten rauben. „Die afrikanischen Regierungen geben die Konzessionen an die internationalen Unternehmen“, schimpft Kardinal Peter Turkson aus Ghana, im Vatikan für die Entwicklungsarbeit zuständig. Dabei gehöre das Land den Menschen vor Ort. Ein Bestandteil von Müllers vor einem Jahr vorgestellten „Marshallplan mit Afrika“ ist daher die Idee der Reformpartnerschaft, die eine Entwicklungsförderung an den Kampf gegen Korruption, eigene Rechtssysteme und die Einhaltung von Menschenrechtsstandards knüpft. Fünf afrikanische Staaten wollen bisher mitmachen — von 55.
Juan Manuel Santos, Kolumbiens Präsident und Friedensnobelpreisträger
Frieden, das wird nicht nur in dieser Diskussion deutlich, ist eben ein mühsames Geschäft, unendlich viel schwieriger als Krieg. Das sagt am Abend auch der ehemalige Verteidigungsminister Kolumbiens und heutige Präsident auf Abruf, Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos. „Frieden schaffen ist wie eine Kathedrale bauen: Ziegelstein für Ziegelstein.“ Vor einem Jahr und vier Monaten hat ein Friedensvertrag mit der größten Rebellenorganisation im Land einen mehr als 50 Jahre alten Bürgerkrieg beendet. Just am Tag des Präsidentenbesuchs in Münster beginnen auf Kuba die Verhandlungen mit der zweiten Guerillagruppe des Landes. Derweil gehen die Morde an Menschenrechtlern unvermindert weiter und wird die Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit angesichts von 220 000 Toten und sechs Millionen Vertriebenen zur kaum lösbaren Aufgabe. Santos will aber auch 14 Tage vor der Wahl seines Nachfolgers nicht nachlassen. „Statt befehlen muss man jetzt überzeugen und Vorurteile abbauen. Vor allem müssen wir die Opfer überzeugen, dass es wichtig ist, den Tätern zu verzeihen.“ Von den Opfern hatte er die größten Widerstände gegen den Friedensprozess erwartet. Dabei seien sie in Krisenzeiten der größte Rückhalt gewesen. Ihre Begründung: „Weil wir nicht wollen, dass es anderen so ergeht, wie es uns ergangen ist.“ In Kolumbien ist inzwischen ein Schulfach Frieden eingeführt.
Wolfgang Benz, Vorurteilsforscher
Vielleicht hätte es auch in Deutschland seine Berechtigung angesichts der deprimierenden Aussage, die Vorurteilsforscher Wolfgang Benz am nächsten Morgen auf einer kurzfristig angesetzten Diskussion über Antisemitismus und Islamfeindlichkeit trifft: „Die Mehrheit braucht Projektionsflächen und das sind immer Minderheiten.“ Der Hass liege nicht an der Minderheit. „Er liegt an der Mehrheit, die sich Feinde schafft und sie braucht.“ Die Sicherheitsmaßnahmen, die ihn begleiten, seien seit Jahren „nahezu unverändert“, sagt Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, auf derselben Veranstaltung. Er selbst komme daher kaum in Kontakt mit Judenhass. Aber aus den Gemeinden erreichten ihn immer wieder Berichte, „wie offen der Antisemitismus heute wieder geäußert wird“. Und auf die Frage, wie die tradierten Vorurteile der Mehrheit gegenüber der Minderheit überwunden werden könnten, entgegnet Lehrer offenherzig: „Ich kann es Ihnen nicht beantworten.“ Bis vor zwei Jahren habe man in Deutschland noch geglaubt, die Gesellschaft mit Erziehungsmethoden imprägniert zu haben gegen Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit. Aber das sei offensichtlich nicht gelungen.
Womöglich sind es Menschen wie die 20-jährige Awa Yavari, auf denen jetzt die Hoffnung ruht. Die Jurastudentin mit deutschen und iranischen Wurzeln, muslimisch geprägt, ist inzwischen als pädagogische Fachkraft in der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt tätig. Dort arbeitet sie in Gesprächen und Workshops mit Gleichaltrigen daran, deren „Denkmuster zu dekonstruieren“ — weg von den Merkmalen, auf die Minderheiten reduziert werden.
Denn das Wort Jude kursiert gerne auch an den Schulen als Schimpfwort, an denen es keinen einzigen jüdischen Schüler gibt. „Aber wir haben 80 Millionen Deutsche und darunter gerade mal 110 000 Mitglieder jüdischer Gemeinden“, sagt Lehrer. Die persönliche Begegnung allein wird es also nicht richten können. „Wir brauchen andere Methoden.“