Analyse Deutschland Schlusslicht beim Kurzarbeitergeld in Europa
Düsseldorf · Analyse Gesetzgeber schützt Arbeitnehmer in vielen anderen Ländern besser. Zuschuss durch Unternehmen längst nicht für alle.
Immer mehr Unternehmen melden wegen der Corona-Krise Kurzarbeit an. Derzeit sind es rund 650 000, wie die Bundesagentur für Arbeit (BA) mitteilte. Das ist ein Anstieg um 40 Prozent binnen einer Woche. Wie viele Menschen in den 650 000 Unternehmen von Kurzarbeit betroffen sein werden, lässt sich zunächst nicht beziffern, wie die BA erklärte. „Das können wir erst genau sagen, wenn die Kurzarbeit abgerechnet wird“, so BA-Chef Detlef Scheele.
Die Behörde geht aber davon aus, dass ihre Zahl „deutlich“ über dem Niveau der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 liegen wird: Damals waren in der Spitze bis zu 1,4 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit. Die Regierung hatte Ende März erklärt, sie rechne mit etwa 2,1 Millionen Kurzarbeitern. Wirtschaftsforscher gehen von 2,4 Millionen aus.
Die Bundesregierung hat wegen der Corona-Pandemie Verbesserungen beim Kurzarbeitergeld beschlossen, die rückwirkend seit dem 1. März gelten. Unternehmen können bereits dann Kurzarbeitergeld beantragen, wenn zehn Prozent der Beschäftigten im Betrieb von Arbeitsausfall betroffen sind statt zuvor ein Drittel. Zudem werden Arbeitgebern die Sozialversicherungsbeiträge, die sie auch bei Kurzarbeit zu zahlen haben, in voller Höhe erstattet.
Die betroffenen Arbeitnehmer erhalten 60 Prozent ihres Nettogehalts; wenn sie Kinder haben, sind es 67 Prozent. Der DGB fordert die Anhebung auf 80 und 87 Prozent. Beschäftigte mit niedrigem Einkommen könnten sonst in die Armut abrutschen. „Die Bundesregierung muss hier nachsteuern, sonst ist das eine soziale Unwucht, die so nicht bleiben kann“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Die Kosten und Lasten der Corona-Krise müssten gerecht verteilt werden.
DGB-Zahlen zufolge landen viele Angestellte mit Kurzarbeitergeld unterhalb der staatlichen Grundsicherung. Betroffen sind besonders Beschäftigte in den Dienstleistungsberufen, aber auch Kulturschaffende. Eine Kellnerin etwa, die derzeit gar nicht arbeiten darf, muss nach Berechnung des Gewerkschaftsbundes mit 725 Euro im Monat auskommen, ein Gebäudereiniger mit 784 Euro. Besonders schwer betroffen sind Angestellte, die bisher in Teilzeit beschäftigt waren. Von ihnen mussten viele Hartz IV beantragen.
Tatsächlich ist Deutschland bei der Höhe des gesetzlich gezahlten Kurzarbeitergeldes Schlusslicht unter den europäischen Ländern mit vergleichbaren Regelungen. Wie eine Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt, wird in zahlreichen Nachbarländern ein höheres Kurzarbeitergeld gezahlt (siehe Grafik).
Bezugsdauer in anderen
Ländern oft kürzer als bei uns
Großzügigere Bezüge in anderen Ländern werden jedoch auch von einer kürzeren Bezugsdauer begleitet. Die WSI-Experten schreiben in ihrer Studie: „In Ländern wie Dänemark, Irland, den Niederlanden und Österreich, die krisenbedingte Sonderprogramme mit einem vergleichsweise hohen Kurzarbeitergeld verabschiedet haben, ist der Bezug zunächst auf drei Monate begrenzt. In den beiden zuletzt genannten Ländern kann die Kurzarbeit einmalig um weitere drei Monate verlängert werden. In Schweden wird hingegen ein hohes Kurzarbeitergeld von mehr als 90 Prozent des Bruttogehaltes für sechs Monate gezahlt und kann darüber hinaus nochmals für drei weitere Monate verlängert werden.“ Spanien (24 Monate), Deutschland und Belgien (jeweils maximal 12 Monate) garantieren dafür eine längere Bezugsdauer.
Um den Betroffenen zu helfen, schließen die Gewerkschaften in immer mehr Branchen Tarifverträge ab, in denen das gesetzliche Kurzarbeitergeld aufgestockt wird. In der Metall- und Elektroindustrie besteht eine flächendeckende Regelung in Baden-Württemberg, wo das Kurzarbeitergeld je nach Umfang der Kurzarbeit auf 80,5 bis 97 Prozent des Nettogehalts erhöht wird. In NRW haben sich IG Metall und Arbeitgeberverband kürzlich auf eine Regelung geeinigt, die die Nettoentgelte der Beschäftigten bei Kurzarbeit auf dem Niveau von etwa 80 Prozent absichert.
Das gilt laut der WSI-Untersuchung aber nur für eine Minderheit der Beschäftigten in Deutschland. „Insbesondere in den klassischen Niedriglohnsektoren gibt es oft keine tarifvertraglichen Zuschüsse zum staatlichen Kurzarbeitergeld“, heißt es. Hinzu kommt, dass in Niedriglohnbereichen die Tarifbindung meist besonders niedrig ist. „Gerade Beschäftigte mit geringem Einkommen können jedoch bei einem Nettoeinkommensverlust von 40 Prozent nicht lange über die Runden kommen. Für diese würde der Weg direkt zu Hartz IV führen,” so die Studie.