Schulöffnung und Abitur Was wollen die Schüler in NRW?
Düsseldorf · Über den richtigen Zeitpunkt für Schulöffnungen und das Abitur mit den Prüfungen wird viel gestritten. Zeit, die Protagonisten, die Schüler, zu fragen. Wir haben klare Antworten erhalten.
Sophie Halley ist Asthmatikerin. Und gehört damit in diesen Tagen der Corona-Pandemie zur Risikogruppe. Das Virus ordnet die Menschen – so unangenehm das klingen mag –, und Halley, die Schülerin an der Anne-Frank-Gesamtschule in Viersen ist, gehört zu jenen, die sich nicht ob ihrer Jugendlichkeit sorglos ins Leben stürzen können. Zurück in die Schule – das will bedacht sein. Und die 18-Jährige hat viel darüber nachgedacht.
Mit der Landesschülervertretung in NRW hat Halley als Vorstandsmitglied eine Petition ausgearbeitet, die eine Rolle spielen wird, wenn Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) in einer Woche entscheiden will, wie das weitergeht mit der Schule, mit den Abiturprüfungen und all dem anderen, das auf Eis liegt. Um diese Fragen balgen sich Politiker, Gewerkschaften und Lehrerverbände, auch Wissenschaft und Wirtschaft, aber die Haltung der Schüler, findet Halley, kommt ziemlich kurz. Vor allem, wenn es um das Abitur geht, das ihnen den Weg weisen soll in ihre Zukunft. Mal hü, mal hott. Abschlussprüfung oder Durchschnittsabitur? Niemand weiß, was wirklich wird. „Und wenn es verkündet wird, können wir uns nicht sicher sein, ob das auch so bleibt“, sagt Halley. „Das geht natürlich gar nicht.“
Ihre Forderung ist die der Landesschülervertretung NRW: Das Abitur muss zeitlich nach hinten verlegt werden, zudem sollen die Absolventen individuell entscheiden können, ob sie eine Abschlussprüfung ablegen oder ein „Durchschnittsabitur” erhalten möchten, das aus zwei Dritteln der bisherigen Leistungen berechnet werden könnte. „Vielen“, sagt Halley, „könnte ein solches Abitur reichen, wenn sie beispielsweise schon einen Ausbildungsplatz haben.“ Aber: Andere gründen ihre Leistungen in der Oberstufe seit der Qualifikationsphase 1 auf das Wissen, dass am Ende der Q2 eine Abschlussprüfung ausgleichen oder wiedergutmachen könne. „Die müssen diese Chance auch haben. Wir können nichts für das Virus“, sagt Halley.
Einen Prüfungstermin im Spätherbst hält Halley für möglich
Sie selbst sorgt sich um den Infektionsschutz. „In vielen Klassenräumen gibt es keine Waschbecken, von Seife ganz zu schweigen. Was ist mit den Toiletten? werden die dann jedes Mal desinfiziert? Und wie können wir ausreichend Abstand garantieren?“ Viele Fragen sind das, und es sind noch viel mehr. Für Halley ist klar, dass alternative Wege für die Prüfungen her müssen. Ein Lehrer vorne, die Klasse davor – „das wird jetzt eben nicht mehr gehen.“ Sogar einen Prüfungstermin im Spätherbst hält sie für möglich. Eventuell startende Studiengänge würden ja vielleicht auch verschoben werden. Und wenn nicht, müsse man sich eben europaweit einigen und individuelle Dinge ermöglichen. Halley will Jura studieren.
Viele halten diese prekäre Zeit für belastend. Auch Thekla Koranashvili, Abiturientin des Friedrichs-Gymnasiums in Herford. Mit Schulkameradin Colin Wilke hat sie eine Petition ins Leben gerufen, die das Grundsätzliche atmet. „Es geht um unser menschliches Grundrecht. Wir fordern unser Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung ein und wollen, dass die Entscheidung eines jeden Schülers, entweder für das Durchschnittsabitur oder das Antreten der Abiturprüfungen, respektiert wird“, sagen die beiden. Anlass war, dass die Petition des Durchschnittsabiturs vor zwei Wochen von der Kultusministerkonferenz abgelehnt worden ist. Ob das so bleibt? Ungewiss. Ihre Petition stellt fehlende Wiederholungsphasen, Diskrepanzen im digitalen Unterricht, nicht stattfindende Lerngruppen, psychischer Druck und Ängste und familiäre Ansteckungsängste fest und schlussfolgert: „Es ist erschreckend und erschütternd zugleich, dass das Abitur scheinbar mehr Gewicht hat als unser gesundheitliches Wohlergehen.“
Philipp Mirkin aus Meerbusch-Büderich hat einen anderen Ansatz – und hat Ministerin Gebauer einen Brief geschrieben. Er plädiert für Vergleichbarkeit aller Abiturleistungen und kritisiert Ungerechtigkeiten für seinen Jahrgang: Nur fünf Tage blieben ob der Pandemie zwischen Präsenzphase in der Schule und dem Start der Prüfungen – im Normalfall seien das vier Wochen. Zudem sei die Prüfungsabfolge zu dicht gedrängt. Das spreche mitsamt der in Kauf genommenen Gefahren für ein „ohnehin fragwürdiges Abitur“ für ein „Notabitur auf Grundlage der vor der Krise erbrachten Leistungen“.