Notbetreuung wird erweitert Das Drama der gefährdeten Kinder
Düsseldorf · Kinderschutzverbände haben schon länger einen Anstieg der häuslichen Gewalt und eine stärkere Kinderwohlgefährdung befürchtet. Die Notbetreuung in NRW greift jetzt auch, wenn das Kindeswohl gefährdet ist.
Die Landesregierung hat sich mit den kommunalen Spitzenverbänden, Jugendämtern, Trägern und Gewerkschaften darauf verständigt, dass das seit dem 16. März geltende Betretungsverbot für die Kindertagesbetreuung präzisiert wird. Nach Angaben des NRW-Familienministeriums soll eine Notbetreuung auch für Kinder möglich sein, deren Kindeswohl gefährdet ist, wenn alle anderen Unterstützungs- und Hilfemaßnahmen nicht ausreichen. Die entsprechende Rechtsverordnung sollte noch am Donnerstag verkündet werden.
„Der Schutz aller unserer Kinder ist eine besonders wichtige Aufgabe“, erklärte Familien- und Kinderminister Joachim Stamp (FDP). „Darum haben wir mit den Beteiligten vor Ort intensiv diskutiert, wie wir gerade in der Krise Kinder vor Gewalt, Vernachlässigungen und Übergriffen bewahren können.“ Die Jugendämter hätten jetzt die Möglichkeit, die Notbetreuung zu nutzen, wenn eine Kindeswohlgefährdung anders nicht ausgeschlossen werden könne.
Nach den bisherigen Regelungen steht die Notbetreuung eigentlich nur Kindern von Eltern offen, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, dort derzeit unverzichtbar sind und keine alternativen Betreuungsmöglichkeiten haben. Allerdings werden nach dpa-Informationen einige gefährdete Kinder schon jetzt in Schulen oder Kitas betreut. Allein in Dortmund sollen es rund 70 Kinder sein.
Appell von hundert Wissenschaftlern für mehr Kinderschutz
Am Sonntag hatte ein bundesweiter Appell von hundert Wissenschaftlern aus Studiengängen der Sozialen Arbeit und Pädagogik für Aufsehen gesorgt. Sie hatten dringend mehr Schutz gefährdeter Kinder und Jugendlicher in der Corona-Pandemie eingefordert - quer durch alle Angebote vom Jugendamt über Tagesgruppen und Kinderheime bis zur Beratung.
„Für die notwendigen Hausbesuche des Jugendamtes bei Hinweisen auf Vernachlässigung oder Misshandlung von Kindern fehlt es an Personal und Infektionsschutz, sie finden zum Teil nicht statt“, heißt es in dem Appell, der auch von Hochschulexperten aus Wuppertal, Düsseldorf und Krefeld unterstützt wird. Es gebe Hinweise, dass „eine erhebliche Zahl“ an Kindern und Jugendlichen aus Wochengruppen, Heimen und Psychiatrien „nach Hause entlassen“ werde. „Teils fehlen Pläne zur Betreuung der Kinder für den Quarantänefall.“
Gefährdete Kinder, so die Wissenschaftler, hätten in ihren Familien schwierige Entwicklungsbedingungen vorgefunden. „Nun sind die Kindertagesstätten und Schulen zu. Eltern, die ihre Kinder misshandeln oder deren Grundbedürfnissse nicht erfüllen können, sind rund um die Uhr mit den Kindern zusammen. Sie haben keine Entlastung mehr, die Kinder und Jugendlichen keinen Ansprechpartner und keinen Schutz.“
In Bayern kann das Jugendamt schon bisher dafür sorgen, dass Kinder weiter in Kitas und Schulen betreut werden, wenn das Kindeswohl das erforderlich macht. Auch Hessen hat am Samstag eine Anpassung der Corona-Verordnung vorgenommen und Kitas und Kindertagespflegestellen wieder für gefährdete Kinder geöffnet.
Bei den Schülern in NRW befindet sich laut Aussage von Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) im Schulausschuss am Mittwoch gerade mal ein Prozent in der Notbetreuung. Das seien knapp 10.000 Schüler. Eine Notbetreuung soll auch in den Osterferien angeboten werden, allerdings nicht von Karfreitag bis Ostermontag. Auch bei den Schülern soll die Regelung jetzt auf diejenigen Kinder und Jugendlichen erweitert werden, bei denen das Jugendamt eine Gefährdung ausmacht.
Kinderschutzverbände hatten schon länger einen Anstieg der häuslichen Gewalt und eine stärkere Kinderwohlgefährdung befürchtet. Laut der Generalsekretärin des Europarats in Straßburg, Marija Pejcinoic Buric, machen Berichte aus den EU-Mitgliedsstaaten deutlich, dass Kinder und Frauen derzeit zu Hause einem höheren Missbrauchsrisiko ausgesetzt sind als vor dem Ausbruch der Pandemie.
Der Lehrerverband VBE begrüßte die Ausweitung der Betreuung in NRW. „Die Schwächsten zu schützen, ist in der jetzigen Situation nötiger denn je“, sagte der Landesvorsitzende Stefan Behlau.