Die Crux mit den Überhangmandaten

Wahlforschern zufolge könnten CDU und FDP am Sonntag mit nur 46 Prozent der Zweitstimmen die neue Regierung stellen.

Karlsruhe. Nach der Verfassung ist das Gewicht aller Wählerstimmen gleich. In der Praxis sind manche Stimmen jedoch gleicher. Glaubt man Wahlforschern, könnten CDU und FDP bereits mit einem Zweitstimmenanteil von nur 46 Prozent am kommenden Wahlsonntag die künftige Bundesregierung stellen.

Überhangmandate könnten das ermöglichen. Diese zusätzlichen Bundestagssitze für eine Partei würden nach Ansicht von Kritikern den Wählerwillen erheblich verfälschen und könnten das Bundesverfassungsgericht auf den Plan rufen.

Die Ursache für Überhangmandate ist das Wahlrecht mit Erst- und Zweitstimme. Mit der Erststimme wird in jedem Wahlkreis ein Direktkandidat gewählt und mit der Zweitstimme die Landesliste einer Partei.

Erringt eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate als ihr nach ihrem Zweitstimmenanteil zustehen, erhält die Partei diese Sitze zusätzlich im Bundestag. Wahlforschern zufolge könnte vor allem die CDU am Sonntag von dieser Regelung profitieren und mit bis zu 20 Überhangmandaten rechnen.

Die Verfassungshüter forderten den Gesetzgeber zwar auf, das Wahlrecht bis 2011 zu ändern. Die Überhangmandate selbst erklärte Karlsruhe jedoch nicht für verfassungswidrig.

Ihre verzerrende Wirkung könnte der Gesetzgeber deshalb durch zusätzliche Ausgleichsmandate für andere Parteien mildern, wie das bei einigen Landtagswahlen geschieht. Oder die Überhangmandate könnten künftig bundesweit anstatt nach Landeslisten verrechnet werden.

Im vergangenen Jahr hätte die SPD gemeinsam mit der Opposition eine Mehrheit im Bundestag für eine Wahlrechtsänderung gehabt. Doch aus Rücksicht auf den Koalitionspartner CDU, der eine schnelle Regelung ablehnte, verzichtete sie.

Allerdings hatte nach dem Karlsruher Urteil selbst der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach gesagt: "Es ist wirklich problematisch, bei der Bundestagswahl 2009 mit einem Wahlrecht anzutreten, von dem man weiß, dass es verfassungswidrig ist."

Ernst Gottfried Mahrenholz, früherer Vizepräsident des Karlsruher Gerichts, sieht das ebenso: Eine Regierung auf Grundlage von Überhangmandaten, die CDU und FDP eingehen würden, sei hoch problematisch. "Wenn das Volk der Souverän ist, dann muss es eine Vertretung haben, die von der Verfassung vorgeschrieben ist", sagte er der "Berliner Zeitung".