„Die Mafia trägt weiße Kragen“
Das organisierte Verbrechen ist auch in Deutschland aktiv.
Brüssel. Italienische Politiker und Staatsanwälte schlagen Alarm: Die Mafia sei kein nationales Problem mehr. Die organisierten Kriminellen hätten sich längst in ganz Europa ausgebreitet — auch in Deutschland.
Seit acht Jahren war Rosario Crocetta nicht mehr auf seinem Balkon, seit acht Jahren hat er die Jalousien vor seinen Fenstern nicht mehr geöffnet. Von seinem Haus in Palermo sind es nur 300 Meter bis zum Meer. Trotzdem war Crocetta seit Ewigkeiten nicht dort. Wenn er hinginge, wäre er wahrscheinlich tot.
Als Bürgermeister der sizilianischen Kleinstadt Gela entließ Crocetta korrupte Beamte und verklagte betrügerische Unternehmer. Heute ist er Abgeordneter im Europaparlament, auf einem Anti-Mafia-Kongress in Brüssel haben er und andere Fachleute vor der Gefahr gewarnt, die von der Mafia ausgeht.
Dass die Mafia in Deutschland angekommen ist, lässt sich belegen. 2009 richtete organisierte Kriminalität in Deutschland einen Schaden von über 1,3 Milliarden Euro an. Das sei mehr als doppelt soviel wie im Vorjahr, schreibt das BKA im Lagebericht.
Die Filmemacherin Carmen Butta hat selbst erlebt, wie die Mafia arbeitet. Als die Italienerin einen Dokumentarfilm über das organisierte Verbrechen veröffentlichen wollte, bekam sie Morddrohungen. Butta lebt in Hamburg. „Das waren Italiener. Sie haben versucht, die Ausstrahlung des Films zu verhindern.“
Die Mafia als Robin Hood mit moralischen Grundsätzen? „Das gibt es schon lange nicht mehr“, sagt Butta. Auch Rosario Crocetta meint: „Die Mafia trägt weiße Kragen.“ Ärzte, Anwälte, Manager — die Mafia sei im etablierten System angekommen.
Das bestätigt auch Roberto Scarpinato. Der 59-jährige Mafiajäger ist Generalstaatsanwalt von Palermo. Seit mehr als 20 Jahren wagt er sich nur begleitet von Personenschützern vor die Tür. In Buttas Film „Mafia, Parasit“ sagt er, die Mafiamorde von Duisburg vor vier Jahren seien nur ein „Betriebsunfall“ gewesen. „Richtige Mafiosi sind quasi unsichtbar.“