Die Türkei und Europa — wer braucht wen?
Regierungschef Erdogan kommt mit breiter Brust nach Deutschland. Doch nicht alles läuft rund.
Berlin. Recep Tayyip Erdogan ist ein wichtiger Mann. So wichtig, dass seine Fahrzeugkolonne besonders lang, die Schar der Leibwächter besonders groß, die Absperrung auf seinem Weg durch Berlin besonders weiträumig sein muss.
Erst die Eröffnung der neuen Botschaft am Tiergarten, dann eine europapolitische Grundsatzrede am Brandenburger Tor.
Unübersehbar demonstriert der Mann aus Ankara Selbstbewusstsein. Außenpolitisch mag zuletzt manches schief gelaufen sein — das Drama in Syrien, die komplizierten Beziehungen zum Iran, Krach mit Israel.
Aber die türkische Wirtschaft boomt nach wie vor, Erdogans Regierungspartei AKP ist unangefochtener denn je. Da sieht der Regierungschef keinen Anlass, in Berlin als Bittsteller aufzutreten, um den lange angestrebten EU-Beitritt vielleicht doch voran zu bringen.
Viel lieber erlaubt er sich, seinen Gastgebern eine kleine Lektion zu erteilen in Sachen Euro-Krise. „Die Krise muss so schnell wie möglich überwunden werden“, mahnt er, der „Sumpf der Schulden“ müsse endlich austrocknen. Die Türkei habe Rezepte dafür — und Geld, sagt Erdogan. Dass das Durchschnittsalter der Türken bei 29 Jahren liegt, erwähnt er am Rande auch noch. Da sieht die ganze EU alt aus.
Ein Wachstum von 8,5 Prozent, 115 Milliarden Dollar Währungsreserven, die Neuverschuldung nur bei 1,5 Prozent: „Die Maastricht-Kriterien können wir einhalten — im Gegensatz zu vielen anderen“, sagt Erdogan. Sein Land werde keine Belastung für die EU sein: „Wir kommen, um Last zu übernehmen.“
Vor der Presse mit Angela Merkel (CDU) gibt es nicht viel zu berichten, jedenfalls keine Bewegung in der Beitrittsfrage. Draußen demonstrieren Tausende gegen den Gast aus Ankara. „Erdogan ist der Feind der Aleviten“, steht auf einem Transparent. Die Rechte der Minderheiten in der Türkei sind immer wieder Anlass zu internationaler Kritik. Erdogan weist dies zurück.
Ungeachtet aller Probleme wissen beide Seiten, dass sie aufeinander angewiesen sind. Nicht nur als Nato-Partner, sondern auch ökonomisch. Tourismus, Außenhandel, Investitionen: Deutschland ist der wichtigste Wirtschaftspartner der Türkei und profitiert besonders von gut ausgebildeten Rückkehrern aus Deutschland.