Justiz EuGH weist rechtswidrige Beschlüsse in Deutschland auf
Luxemburg · Deutschland verstößt bei dem Nachzug von Familienangehörigen eines Geflüchteten gegen das EU-Recht. Zudem stehen zugezogenen Familien ein uneingeschränktes Kindergeld zu.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Zusammenhang mit Zuwanderungen zwei deutsche Beschlüsse als nicht rechtens erachtet.
Deutsche Regelung zum Familiennachzug ist rechtswidrig
Deutschland verstößt mit seinen Regeln zum Nachzug von Familienangehörigen von Flüchtlingen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen EU-Recht. Der Familiennachzug dürfe nicht deshalb verwehrt werden, weil ein minderjähriges Kind während eines laufenden Verfahrens volljährig geworden sei, urteilten die Richter am Montag in Luxemburg (Rechtssachen C-273/20, C-355/20, C-279/20). Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl sprach von einer „guten Nachricht für zerrissene Familien“. Die bedeute für Deutschland eine „180-Grad-Wende“.
Hintergrund sind zwei Konstellationen: Zum einen geht es um Eltern aus Syrien, die Visa zur Familienzusammenführung mit ihrem in Deutschland als Flüchtling anerkannten, minderjährigen Sohn beantragten. Zum anderen geht es um den Nachzug von Kindern. Eine minderjährige Syrerin wollte zu ihrem in Deutschland als Flüchtling anerkannten Vater. Da die Minderjährigen im Laufe der Verfahren volljährig wurden, lehnte deutsche Behörden die Anträge auf Familienzusammenführung ab.
Ein Verwaltungsgericht verpflichtete die deutschen Behörden zwar dazu, den Betroffenen Visa zur Familienzusammenführung zu erteilen. Doch die Bundesrepublik legte Revision am Bundesverwaltungsgericht ein, das den EuGH anrief.
Dieser ist in seinem Urteil vom Montag eindeutig und bestätigte damit einen vorherigen Richterspruch aus Luxemburg. Ziel der maßgeblichen EU-Regeln sei, die Familienzusammenführung zu begünstigen und insbesondere Minderjährigen Schutz zu gewähren. Das deutsche Vorgehen sei weder mit diesen Zielen noch mit den Anforderungen der Grundrechte-Charta vereinbar.
Den deutschen Regeln zufolge hätten die zuständigen Behörden und Gerichte nämlich keinen Grund, die Anträge der Eltern mit der gebotenen Dringlichkeit zu bearbeiten. Zudem hänge der Erfolg eines Antrags hauptsächlich von Umständen ab, die in der Hand nationaler Behörden und Gerichte liege, insbesondere deren zügiger Bearbeitung.
Deutsche Regelung zu Kindergeld für Zuzügler-Familien gekippt
Der Europäische Gerichtshof hat eine deutsche Regelung zur Einschränkung von Kindergeldleistungen für Zuzügler aus anderen EU-Staaten für unzulässig erklärt. Die Richter des höchsten Europäischen Gerichts entschieden am Montag, dass Ansprüche in den ersten drei Monaten des Aufenthalts nicht von Einkünften aus einer Erwerbstätigkeit abhängig gemacht werden dürfen.
Das in Rede stehende Kindergeld stelle keine Sozialhilfeleistung im Sinn von möglichen Ausnahmebestimmungen dar, da es nicht der Sicherstellung des Lebensunterhalts diene, sondern dem Ausgleich von Familienlasten, erklärte der Gerichtshof. Da im EU-Recht hinsichtlich solcher Familienleistungen eine Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Inländern und Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats nicht vorgesehen sei, stehe das Unionsrecht der vom deutschen Gesetzgeber eingeführten Ungleichbehandlung entgegen.
Die deutsche Regelung ziele darauf ab, einen Zustrom von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten zu vermeiden, der zu einer unangemessenen Inanspruchnahme des deutschen Systems der sozialen Sicherheit führen könne, merkte der EuGH an. Dieses Erfordernis gelte allerdings nicht für deutsche Staatsangehörige, die von einem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat zurückkehrten.
Einschränkend betonten die Richter lediglich, dass die Zuzügler sich nur dann auf die Gleichbehandlung berufen können, wenn sie während der fraglichen ersten drei Monate tatsächlich ihren „gewöhnlichen Aufenthalt“ in Deutschland begründet haben. Ein nur vorübergehender Aufenthalt genügt demnach nicht.
Hintergrund der EuGH-Entscheidung ist der Fall einer bulgarischen Frau, deren Antrag auf Kindergeld für ihre drei Kinder in Deutschland von der Familienkasse Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für Arbeit abgelehnt wurde. Die Behörden begründeten das damit, dass sie und ihr Mann in dem relevanten Zeitraum keine inländischen Einkünfte erzielt hätten. Die Entscheidung in dem Einzelfall liegt nun beim Finanzgericht Bremen.