Nach 90. Geburtstag Habermas: „Eliten haben den Mut gestaltender Politik verloren“

Frankfurt/Main · Jürgen Habermas appelliert an der Frankfurter Goethe-Universität für die Überwindung nationalstaatlicher Kulturen.

Foto: dpa/Arne Dedert

Einen Tag nach seinem 90. Geburtstag hat der Philosoph Jürgen Habermas vor Tausenden Zuhörern die Einheit Europas beschworen. „Den nationalen - und insbesondere den wirtschaftsnationalen - Egoismus ihrer Staaten könnten die Völker erst überwinden, wenn sie das bornierte Bewusstsein ihrer nationalstaatliche Kulturen durchbrechen würden“, sagte Habermas am Mittwoch in Frankfurt. Ein „politisches Gehäuse“ müsse Europa dafür allerdings erst noch hervorbringen.

„Die Solidarität stiftende Quelle der demokratischen Praxis versiegt heute schon im jeweils eigenen Land“, kritisierte Habermas. „Die politischen Eliten (....) haben den Mut zu einer gestaltenden Politik verloren.“ Wer „zerbröckelnde Sozialstaatsmodelle“ retten und wachsende soziale Ungerechtigkeit bekämpfen wolle, müsse die Vertiefung europäischer Zusammenarbeit vorantreiben.

Zu dem Vortrag an der Frankfurter Goethe-Universität, Habermas' früherer Wirkungsstätte, waren nach Angaben der Hochschule 3000 Menschen gekommen. Der Vortrag wurde aus dem größten Hörsaal in fünf weitere Säle übertragen. Die Veranstaltung wurde von einem Feueralarm unterbrochen - wegen des Fehlalarms mussten alle Gäste und Habermas das Gebäude verlassen.

(dpa)