8. Mai 2016 / 8. und 9. Mai 1945 Hitler unter dem Hammer, Putins Rocker in Berlin
Während der 71. Jahrestag der deutschen Kapitulation im Westen kaum eine Rolle spielt, lässt Wladimir Putin zum „Tag des Sieges“ die Muskeln spielen — und Motorräder durch die deutsche Hauptstadt donnern.
Berlin. In Deutschland ist morgen vor allem Muttertag. Die offiziellen Kalender von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundespräsident Joachim Gauck sind leer, in der zweiten Bundesliga zittert Fortuna Düsseldorf um den Klassenerhalt, auf dem Hockenheimring dröhnen die Motoren der Tourenwagen Masters. Es gibt wenige Gottesdienste zum Thema, 3sat nimmt noch einmal den „Untergang“ ins nächtliche Programm (um 23.20 Uhr) und Christie’s leistet sich in New York eine Provokation: Das Auktionshaus versteigert am 71. Jahrestag des Kriegsendes die knieende Hitler-Skulptur „Him“ (deutsch: er) des italienischen Provokations-Bildhauers Maurizio Cattelan und hofft mit der knapp einen Meter hohen Völkermörder-Karikatur aus jüdischem Privatbesitz zwischen zehn und 15 Millionen Dollar zu erzielen.
Während das Gedenken an Kriegsende und Kapitulation im Westen weitgehend ausfällt, bereitet sich Russland auf den „Tag des Sieges“ mit ungekanntem Aufwand vor. In der Nacht zu gestern übten Panzer- und Raketenverbände vor dem Kreml für eine gigantische Truppenparade wie zu Sow¬jet-Zeiten. In rund zwei Dutzend russischen Städten gibt es Großveranstaltungen zum 9. Mai (1945 fand die deutsche Kapitulation vor dem russischen Oberkommando nicht am 8. Mai, sondern erst kurz nach Mitternacht statt). Der russische Staatssender „Sputnik“ zitiert aus einem Glückwunsch-Telegramm des syrischen Präsidenten Assad an Wladimir Putin, in den russischen Separatisten-Gebieten in der Ost-Ukraine werden ebenfalls Paraden mit schweren Panzern vorbereitet.
Dafür, dass der Westen diesen inzwischen wichtigsten aller russischen Feiertage nicht gänzlich unbemerkt verstreichen lässt, sorgen möglicherweise Mitglieder des russischen Rockerclubs „Nachtwölfe“: Knapp 100 Motorradfahrer des Putin nahestehenden Clubs befinden sich auf einer „Siegesfahrt“ durch Europa, die an den Vormarsch der Roten Armee erinnern und am 9. Mai in Berlin enden soll. Dort wollen die Rocker im Treptower Park und am Deutsch-Russischen Museum in Karlshorst Kränze zum Gedenken an gefallene Sowjetsoldaten niederlegen.
Die Tour endete zunächst am vergangenen Sonntag an der polnischen Grenze, da Polen die Durchreise der „Nachtwölfe“ nicht erlauben wollte. 2015 hatte auch Deutschland die Visa einiger russischer Rocker widerrufen und die „Siegesfahrt“ damit zum Scheitern gebracht. Diesmal zeigten sich die als nationalistisch und homophob eingestellten Putin-Freunde unbeeindruckt und wählten einen Umweg über die Slowakei und Tschechien. Die Deutsche Presseagentur meldete gestern, rund 80 Rocker hätten inzwischen die Grenze zu Österreich überschritten. Russlands Staatssender berichten erwartungsgemäß von „begeisterten Empfängen“ entlang der Strecke.
Anführer der Kreml-Biker ist ein früherer Türsteher, der vor 30 Jahren in Westberliner Diskotheken arbeitete. Alexander Saldostanows Spitzname „Der Chirurg“ soll auf medizinische Kenntnisse zurückgehen. Der Putin-Freund steht auf mehreren Sanktionslisten des Westens, weil die rund 5000 Mitglieder der „Nachtwölfe“ sowohl in der Ost-Ukraine militärisch den Krieg der dortigen Separatisten unterstützt haben als auch an der Besetzung und Annektierung der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland beteiligt gewesen sein sollen.
Russische Medien begleiten die „Siegestour“ und die Reaktionen der jeweils örtlichen Behörden mit hoher Aufmerksamkeit — und auch die Ignoranz des Westens für das historische Ereignis. Der Historiker Götz Aly kritisierte in diesem Zusammenhang in der „Berliner Zeitung“, dass es auch zum Beginn des deutschen Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion vor 75 Jahren am 22. Juni 1941 keine offiziellen Veranstaltungen gebe: „Wenn es derart wurstig weitergeht, wird das offizielle Deutschland am 22. Juni geschichtspolitische Ignoranz und bodenlose Rohheit demonstrieren — und das in politisch angespannten Zeiten, in denen es auf symbolische Akte ankäme.“
Der 71. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland wie auch der 75. Jahrestag des deutschen Angriffskriegs fallen in eine Zeit, in der Russland mit massivem außenpolitischen Säbelrasseln seine Großmachtstärke beschwört, während die katastrophale wirtschaftliche Lage Putin im Innern inzwischen in Bedrängnis bringt. In dieser Woche ließ Putin seinen Verteidigungsminister Sergej Schoigu erklären, bis zum Ende des Jahres werde Russland zwei neue Armee-Divisionen im westlichen und eine neue Division im südlichen Militärbezirk aufstellen.
Das bedeutet eine Truppenverstärkung von rund 30 000 Soldaten an der Grenze zur Nato. Zuvor hatte die Nato als Reaktion auf immer neue russische Provokationen vor allem im Luftraum zu den baltischen Staaten Truppenverstärkungen angekündigt. Am 11. Mai sollen in Berlin die Gespräche über die Zukunft der Ukraine weitergehen.