Politik Im Dieselskandal muss jeder Kunde individuell klagen

Der Justizminister konnte sein Vorhaben nicht durchsetzen. Daher muss im Dieselskandal jeder Kunde individuell klagen.

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Düsseldorf. Als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr SPD-Herausforderer Martin Schulz sich im TV-Duell das Wortungetüm „Musterfeststellungsklage“ zuwarfen, da mag das vielen Zuschauern als juristisches Geplänkel erschienen sein. Ein Streit, von dem hängen blieb, dass die beiden sich gegenseitig Unlauterkeit vorwarfen. Dass die SPD die Union bezichtigt, eine notwendige Reform auszubremsen. Und dass die Kanzlerin ihrerseits die SPD kritisiert, deren Justizminister Heiko Maas habe bei seinem (schon 2016 vorgelegten) Gesetzentwurf nicht ordentlich gearbeitet. Deswegen werde es nun nichts. Die Konsequenz: Die von der Autoindustrie übers Ohr gehauenen Kunden können bei ihren Rechtsstreitigkeiten nicht mit staatlicher Hilfe rechnen. Eben weil die Musterfeststellungsklage so schnell nicht kommen wird.

Die Musterfeststellungsklage ist ein juristisches Schwert, das Verbraucherschutzverbände schon länger fordern. Es geht um die Fälle, in denen es für Verbraucher kaum durchsetzbar ist, ihr Geld zurückzubekommen, wenn sie durch einen Rechtsverstoß eines Unternehmens geschädigt werden. Eine Verbraucherzentrale kann das Unternehmen dann zwar abmahnen, diese Abmahnung wirkt aber nur für die Zukunft.

Die geschädigten Verbraucher bleiben dann jedoch trotzdem auf ihrem Schaden sitzen. Es sei denn, jeder einzelne von ihnen rafft sich auf, selbst zu klagen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband beklagt: „Kaum ein Verbraucher führt einen solchen Rechtsstreit. Unternehmen profitieren von der Unsicherheit der Verbraucher, denn sie können die wirtschaftlichen Vorteile aus ihrem rechtswidrigen Verhalten häufig behalten. Das kann so nicht bleiben.“ Darum, so die Forderung, müsse es möglich sein, dass alle zentralen Rechtsfragen des Streitfalls in einem einzigen Verfahren geklärt werden — eben per Musterfeststellungsklage.

So werde verhindert, dass Forderungen der geschädigten Verbraucher verjähren. Ein Verbraucherverband könnte dann beispielsweise eine Musterfeststellungsklage gegen eine Preiserhöhungsklausel oder eine unzulässige Motorensoftware durch die Gerichtsinstanzen führen. Tausende Verbraucher könnten sich dieser Klage anschließen. Dadurch würden sie verhindern, dass ihre Forderung verjährt. Und wenn das Urteil dann rechtskräftig ist, können sie sich verbindlich darauf berufen und ihre individuelle Entschädigung einklagen.

Doch noch ist das Zukunftsmusik. Weil SPD-Justizminister Maas seinen Reformplan gegen die Union nicht durchsetzen konnte, gibt es nun keinen schnell wirkenden Verbraucherschutz, der auch bei den Reklamationsfällen in der Dieselaffäre helfen würde.

Der Düsseldorfer Verbraucherrechtsanwalt Julius Reiter kritisiert, dass die Diskussion um die Musterfeststellungsklage überdeckt, dass täglich Ansprüche geschädigter VW-Kunden verjähren und dies auch nicht mehr mit Einführung einer Sammelklage verhindert werden könne. Dabei seien die getäuschten Autokäufer von Fahrverboten bedroht, sie erlitten Wertverluste, hätten höhere Wartungskosten und höheren Verschleiß. Die Antwort der Automobilindustrie (Software-Nachrüstung und Prämien beim Neukauf) sei ungeeignet und kein Schadensausgleich.

Reiters Anwaltskanzlei, auch getrieben von ihrem angriffslustigen Senior, dem früheren Bundesinnenminister Gerhart Baum, sieht mangels Musterfeststellungsklage jetzt nur noch den Weg, eine große Welle von Einzelverfahren durchzuziehen, um die Rechte der Kunden zu wahren. Um die Kaufverträge rückabzuwickeln oder Schadensersatz zu erhalten. Auch wenn dieser Schritt für die Justiz hierzulande eine große Belastung sein wird. Baum spricht von „Ohnmacht des Verbrauchers“ und einem „Wahnsinn“ für Käufer wie für Gerichte, dass Schadensersatzansprüche bislang nur einzeln geltend gemacht werden könnten.