Anklage fordert dreieinhalb Jahre Haft für früheren SS-Mann

Lüneburg (dpa) - Im Auschwitz-Prozess gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning hat die Staatsanwaltschaft vor dem Landgericht Lüneburg dreieinhalb Jahre Haft gefordert.

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Der 94-Jährige müsse wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 300 000 Fällen verurteilt werden, forderte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer.

Prozessbeobachter halten es allerdings für wenig wahrscheinlich, dass Gröning tatsächlich ins Gefängnis kommt. Auch bei Verurteilung zu einer Haftstrafe müsste die Staatsanwaltschaft vorher prüfen, ob der 94-Jährige wegen seines Alters und seines gesundheitlichen Zustandes überhaupt haftfähig ist.

Weil eine Verurteilung Grönings schon vor Jahrzehnten möglich gewesen wäre, sollten bis zu 22 Monate der Haft als bereits verbüßt gelten, sagte Staatsanwalt Jens Lehmann, der von einer „rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung“ sprach. Gegen Gröning waren bereits 1977 Ermittlungen eingeleitet worden, sie wurden später aber wieder eingestellt.

„Wir sind hier mit einem Geschehen konfrontiert, das an die Grenzen menschlichen Verstehens geht“, sagte der Staatsanwalt. Es falle schwer, dafür eine angemessene Bestrafung zu finden. Die Verschleppten in Auschwitz hätten nicht mit ihrer Ermordung gerechnet, sondern den Nazis geglaubt, es gehe um einen Arbeitseinsatz und eine Umsiedlungsaktion. Noch auf dem Weg zu den Gaskammern sei den Opfern gesagt worden, es gehe nur zum Duschen. Damit sei das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt.

Vorgeworfen wird Gröning die Beteiligung an der sogenannten Ungarn-Aktion 1944, bei der es mindestens 300 000 Opfer in Auschwitz gab. Die Aktion sei als Massenmord zu werten, sagte der Staatsanwalt. Der Angeklagte habe an der industriellen Tötung von Millionen Menschen mitgewirkt. Auch wenn Gröning in Auschwitz-Birkenau tatsächlich nur dreimal vertretungsweise Dienst an der Rampe getan und sonst die Gelder der Verschleppten an die SS weitergeleitet habe, so sei er damit unmittelbar beteiligt gewesen und müsse wegen Beihilfe zum Mord verurteilt werden.

Der Staatsanwalt sagte, für Gröning spräche sein „untypischer Umgang“ mit den Vorgängen. Statt zu leugnen habe er sich erkennbar bemüht, sich dem Verfahren zu stellen. Gröning hatte bereits zu Beginn des Prozesses eine moralische Mitschuld übernommen.

Auch Nebenkläger-Anwalt Thomas Walther erkannte in seinem Plädoyer an, dass sich Gröning dem Strafverfahren und seiner Verantwortung gestellt habe. Dennoch sei er angesichts der Aussagen des Angeklagten sehr enttäuscht, sagte der Anwalt. Gröning habe sich mit dem Morden nicht direkt in Verbindung gebracht und „seine eigene Schuld in den Bereich der Moral transferiert“. Es gehe aber nicht um unmoralisches Handeln, sondern um Mord. Der Prozess habe für die Zeugen dennoch eine erlösende und heilende Wirkung gehabt.

Die Auschwitz-Überlebende Hedy Bohm sagte, ein einfaches „Es tut mir leid“ habe ihr von Gröning gefehlt. Das Strafmaß spiele keine Rolle, betonte sie, es gehe nicht um Rache. Für Mittwoch werden die Plädoyers weiterer Nebenkläger-Anwälte und möglicherweise auch der Schlussvortrag der Verteidigung erwartet. Ein Urteil könnte dann bereits in der kommenden Woche fallen, sagte eine Gerichtssprecherin.