Atomausstieg ruft Russen auf den Plan

Mit der Energiewende rückt Gas zunehmend in den Fokus. Jetzt schmieden RWE und Moskau eine mächtige Allianz.

Essen/Moskau. Der staatlich verordnete Atomausstieg hat die deutschen Stromriesen schwer getroffen. Ihnen entgehen Milliarden, die Börsenkurse sind rapide gesunken. RWE ist daher gezwungen, den Konzern umzubauen. Der Ausstieg kostet die Essener Milliarden.

Vor diesem Hintergrund hat RWE am Donnerstag für rund eine Milliarde Euro die Mehrheit an der Netz-Tochter Amprion an Finanzinvestoren abgegeben. Die strategische Führung behält RWE. Amprion will in den nächsten zehn Jahren drei Milliarden Euro investieren.

Die Bundesregierung möchte, dass die Konzerne für den Übergang ins grüne Stromzeitalter in flexible Gaskraftwerke investieren. Die Konzerne haben bis jetzt abgewunken: „Unrentabel“, sagen sie. RWE scheint jetzt jedoch ein Befreiungsschlag zu gelingen.

Der deutsche Stromproduzent Nummer eins ist auf dem Weg zu einem Bündnis mit dem russischen Gasriesen Gazprom. Der drängt schon lange auf einen Einstieg in Deutschland. Beide Konzerne haben jetzt öffentlich ihren Willen zu Verhandlungen kundgetan. Es geht nicht um ein Aktienpaket am Konzern, sondern um eine Beteiligung am Gas- und Steinkohlekraftwerkspark in Westeuropa.

Es wäre ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Gazprom lockert die Daumenschrauben seiner Gasverträge mit RWE und bekommt dafür Zugriff auf die Stromproduktion. 27 000 Megawatt hat RWE in Westeuropa schon am Netz.

Mehr als 8000 kommen bis 2014 hinzu. Außerdem will Gazprom mit RWE neue Gaskraftwerke in Deutschland bauen. Zwar würde der Bau nicht billiger, aber mit günstigem Gas wäre der Betrieb preiswerter. Auch bestehende Gaskraftwerke könnten billiger beliefert werden.

Ob RWE und Gazprom ein gleichberechtigtes Joint Venture aushandeln, ist noch nicht klar. Vielleicht gibt es auch nur eine Rahmengesellschaft und für jedes Kraftwerk werden separat Beteiligungen festgelegt.

Gazprom will auf jeden Fall vom deutschen Atomausstieg profitieren. Nach der geplanten Stilllegung der Meiler benötige der deutsche Markt pro Jahr zusätzlich rund 20 Milliarden Kubikmeter Gas, schätzt Gazprom-Vizevorstand Alexander Medwedew. Damit sollen neue Kraftwerke betrieben werden, die den Ausfall von 20 Gigawatt AKW-Leistung ausgleichen sollen.

Bereits jetzt ist Deutschland mit 35,3 Milliarden Kubikmetern der größte Abnehmer von russischem Gas. Damit die Sicherheit der Gastransporte in das wichtige Absatzland Deutschland auf Dauer gesichert ist, baut Gazprom gemeinsam u. a. mit dem BASF-Konzern die Ostsee-Pipeline Nord Stream von Russland nach Mecklenburg-Vorpommern. Parallel entsteht das Gasprojekt South Stream zur Versorgung Südeuropas.

Mit dieser „Gaszange“ hilft Gazprom seinem Mehrheitseigner, der russischen Regierung, dabei, das unbeliebte EU-Vorhaben Nabucco zu behindern. Mit der Nabucco-Leitung vom Kaspischen Meer — RWE ist am Projekt beteiligt — will die EU unabhängiger vom russischen Gas werden. Das passt Moskau nicht.