Ausländische Presse muss Plätze im NSU-Prozess erhalten
Karlsruhe/Berlin (dpa) - Das Oberlandesgericht München muss beim NSU-Prozess eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an türkische und griechische Journalisten vergeben. Das entschied das Bundesverfassungsgericht am Freitag.
Damit hatte ein Eilantrag der türkischen Tageszeitung „Sabah“ Erfolg.
Gerade die Vertreter türkischer Medien hätten ein besonderes Interesse an einer eigenständigen Berichterstattung über den Prozess, „da zahlreiche Opfer der angeklagten Taten türkischer Herkunft sind“, hieß es zur Begründung des Beschlusses (Az. 1 BvR 990/13).
Wie das Oberlandesgericht (OLG) mit der Entscheidung umgeht, ist noch nicht klar. Zu den Konsequenzen aus der Karlsruher Entscheidung könne sie sich erst äußern, wenn der Senat diese eingehend geprüft und über das weitere Vorgehen entschieden habe, teilte Gerichtssprecherin Margarete Nötzel am Freitagabend mit.
Die Türkische Gemeinde in Deutschland sowie Politiker aller Parteien begrüßten die Karlsruher Entscheidung.
Der Prozess um die terroristischen Anschläge des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) soll am kommenden Mittwoch in München beginnen. Türkische Medien waren bei der Vergabe der 50 reservierten Presseplätze leer ausgegangen - obwohl acht von zehn Mordopfern türkische Wurzeln haben.
Ein weiteres Opfer war griechischer Herkunft. Griechische Medien hatten sich jedoch nicht um Plätze beworben. Das Oberlandesgericht hatte die Akkreditierungen nach der Reihenfolge des Eingangs vergeben. Im Gegensatz zu anderen Strafverfahren gab es kein spezielles Kontingent für ausländische Medien.
Wie die Platzvergabe im einzelnen geschehen soll, ließen die Verfassungsrichter offen. Sie weisen den Vorsitzenden Richter an, „nach einem von ihm (...) festzulegenden Verfahren eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an Vertreter von ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten zu vergeben.“
Möglich wäre, ein Zusatzkontingent von nicht weniger als drei Plätzen zu eröffnen, in dem nach dem Prioritätsprinzip oder etwa nach dem Losverfahren Plätze vergeben werden. „Es bleibt dem Vorsitzenden aber auch unbenommen, anstelle dessen die Sitzplatzvergabe oder die Akkreditierung insgesamt nach anderen Regeln zu gestalten“, heißt es in dem Beschluss.
Der stellvertretende „Sabah“-Chefredakteur Ismail Erel zeigte sich erleichtert. „Wir haben uns nicht zu Unrecht ungleich behandelt gefühlt“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. „Das Gericht hat ein ganz klares Signal gesetzt.“
„Sabah“-Anwalt Ralf Höcker sagte, die Entscheidung schaffe mehr Rechts- und Planungssicherheit für Gerichtsberichterstatter: „Die Vergabe von Sitzplätzen an Medienvertreter in einem derart wichtigen Verfahren muss absolut fair verlaufen“, sagte Höcker. „Dazu gehört, dass ausländische Medien mit einem besonderen Bezug zum Verfahren Berücksichtigung finden müssen.“
Politiker quer durch die Parteien begrüßten die Karlsruher Entscheidung. Vize-Kanzler Philipp Rösler (FDP), der gerade zu einem Besuch in der Türkei war, sagte: „Ich freue mich, dass nun auch türkische Medien unmittelbar über den Prozess berichten können. Denn in der Türkei ist überall zu spüren, wie betroffen die Menschen auf die schreckliche NSU-Mordserie reagieren.“
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, lobte das Gericht mit den Worten: „Es ist gut, dass wir das Bundesverfassungsgericht haben.“
Erleichtert reagierte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU). „Das Vertrauen der Migranten in den Rechtsstaat war durch die Aufdeckung der NSU-Morde erschüttert. Durch Transparenz und Offenheit kann es wieder hergestellt werden“, sagte sie der „Rheinischen Post“ (Samstag).
Die Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir sprachen von einem starken Signal „nicht nur an die Menschen mit türkischen Wurzeln in unserem Land, dass dieser NSU-Prozess fair und transparent verlaufen wird“.
Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) zeigte sich überzeugt, „dass das Oberlandesgericht in richterlicher Unabhängigkeit die notwendigen Konsequenzen ziehen wird“. Es sei erfreulich, dass nach wochenlangem Streit klar sei, was bei der Platzvergabe jetzt zu tun sei.
Auch die stellvertretende SPD-Vorsitzende Aydan Özoguz meinte: „Nachdem an diesem Punkt nun Rechtsklarheit besteht, bin ich überzeugt, dass der Prozess ordentlich durchgeführt werden kann.“