"Auslegung der Scharia nicht den Terroristen überlassen"
Burka-Zwang und Steinigung — geschieht das im Namen des Islam? Interpretationssache, sagt ein Experte.
Paderborn. Es ist uralte Tradition und aktuelle Notwendigkeit, Ziel und Zweck der Scharia zu erforschen, sagt der Theologe Klaus von Stosch. Das sei wichtig, um nicht den Terroristen und Extremisten dieser Welt die Deutungshoheit darüber zu überlassen, was Islam und Scharia bedeuten. Zum gestrigen Auftakt der internationalen Konferenz über das islamische Recht Scharia in Paderborn sprach der Leiter des Zentrums für Komparative Theologie, Klaus von Stosch, im Interview über Missverständnisse und Extremisten.
Herr von Stosch, ist die Scharia also ein umfassendes Gesetzbuch?
Klaus von Stosch: Die Scharia ist überhaupt nicht vergleichbar etwa mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Deutschland. Es ist ein verbreitetes Missverständnis, dass die Scharia ein festgelegtes, kodifiziertes Recht sei. Es gibt sehr unterschiedliche Auslegungen der Scharia.
Worauf beruht die Scharia?
von Stosch: Die erste Quelle für die Scharia ist der Koran. Da stellt sich sofort die Frage: Liest man den Koran in seinem historischen Zusammenhang oder versteht man ihn als zeit- und geschichtslose Wahrheit?
Zum Beispiel?
von Stosch: Ein Beispiel aus dem Erbrecht: Der Koran legt nahe, dass Frauen nur halb so viel erben sollen wie Männer. Liest man das als übergeschichtlichen Grundsatz, dann ist das natürlich eine Diskriminierung der Frauen und ließe Folgerungen zu, dass etwa Gott Männer wichtiger findet als Frauen. Liest man das aber historisch, also vor dem Hintergrund, dass Frauen im siebten Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel überhaupt nichts geerbt haben, dann ist es ein revolutionärer Schritt, den Frauen ein Erbteil zu ermöglichen.
Welche Fragen stehen nun im Zentrum der Tagung?
von Stosch: Wonach entscheidet man, was Scharia ist und was nicht? Wie findet man heraus, wer Recht hat? Die Bandbreite der Interpretationen reicht von den Terroristen der Miliz Islamischer Staat (IS) auf der einen Seite bis zu einer Auslegung, die die liberalen Grundsätze unserer Verfassung, die Menschenrechte in einer noch liberaleren Form vertritt, als wir sie jetzt umsetzen.