Affäre um Asylbescheide Bamf-Vermittler und Dolmetscher sollen Geld kassiert haben

Bremen/Berlin (dpa) - Durch die Ermittlungen im Bremer Flüchtlingsamt kommen immer neue Verdachtsfälle und Schlampereien ans Licht.

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Wie aus internen Emails hervorgeht, hatte ein Asyl-Entscheider der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) im rheinland-pfälzischen Bingen bereits im vergangenen Jahr in der Nürnberger Zentrale Alarm geschlagen, weil ihm die stark vom Bundesdurchschnitt abweichenden Schutzquoten der Dienststelle suspekt erschienen. Ob diese Praxis eher auf Überlastung - Anerkennungen sind für die Mitarbeiter weniger aufwendig als Ablehnungen, die hinterher oft vor Gericht landen - oder auf andere Beweggründe zurückzuführen war, bleibt aber unklar.

Den Aufzeichnungen zufolge erhielten in Bingen zwischen Januar und Oktober vergangenen Jahres 97 Prozent der Iraner Flüchtlingsschutz oder eine Asylanerkennung. 90 Prozent der Antragsteller aus Afghanistan erhielten in der einen oder anderen Form Schutz. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2017 lag die Gesamtschutzquote für Iraner bundesweit bei knapp 50 Prozent. Von den Antragstellern aus Afghanistan erhielten rund 44 Prozent Schutz.

Eine Dienstaufsichtsbeschwerde des Mitarbeiters aus Bingen wurde von der Zentrale im August mit folgender Begründung abgewiesen: „Die Vorgabe der Referatsleitung, dass bei Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Antragsteller nach der abgeschlossenen Sachverhaltsermittlung diesen grundsätzlich eher Schutz zu gewähren, als einen ablehnenden Bescheid zu erstellen, beruht auf der Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiter.“ Denn eine Ablehnung mit anschließender Rückführung „in eine womögliche Verfolgungssituation kann zu einer belastenden psychischen Belastung der Entscheider führen“.

Nicht ganz sauber lief es offensichtlich bei der Schulung neuer Mitarbeiter, die in Asylverfahren zur Prüfung von Ausweisdokumenten eingesetzt werden. Interne Dokumente belegen, dass - womöglich versehentlich - auch Zertifikate für die Teilnahme von Mitarbeitern ausgestellt wurden, die am Tag der Schulung nicht anwesend waren und zum Teil noch nicht einmal ihren Dienst beim Bamf angetreten hatten.

Die im Zentrum der Affäre stehende Bremer Bamf-Außenstelle darf laut einer Anordnung von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vorerst keine Asylanträge mehr bearbeiten. Das Amt steht nach Angaben der Staatsanwaltschaft im Verdacht, zwischen 2013 und 2016 mindestens 1200 Menschen ohne ausreichende Grundlage Asyl gewährt zu haben.

Zu den Beschuldigten gehören Anwälte und die ehemalige Leiterin der Außenstelle. Nach Informationen aus dem Bamf-Umfeld beklagen viele der Bremer Mitarbeiter, sie würden nun unter Generalverdacht gestellt. In dieser Woche wollen erst Bamf-Vizepräsident Ralph Tiesler und dann die Personalräte Gespräche mit den Beamten führen.

Wie aus einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Bremen vom 3. April hervorgeht, wird ein unter der inzwischen abberufenen früheren Bamf-Leiterin in Bremen eingesetzter freiberuflicher Sprachmittler verdächtigt, von Ausländern, die ihm ein zweiter Beschuldigter vermittelte, 500 Euro dafür erhalten zu haben, dass er „falsche Angaben insbesondere zur Identität und den Einreisedaten aufnahm, beziehungsweise übersetzte“. Der Vermittler soll von mehreren Antragstellern angeblich jeweils 550 Euro kassiert, davon 50 Euro behalten und 500 Euro an den Dolmetscher weitergereicht haben. Die Staatsanwaltschaft stützt ihren Verdacht laut Beschluss sowohl auf Erkenntnisse aus Bamf-Revisionsverfahren als auch auf Zeugenaussagen.

Bamf-Präsidentin Jutta Cordt hatte im März 2017 in einem Brief an die langjährige Mitarbeiterin geschrieben, diese habe ohne Grund auch in abgeschlossene Asylverfahren, die nicht in Bremer Zuständigkeit lagen, eingegriffen und diese positiv entschieden. Auch nach Intervention eines Vorgesetzten habe die damalige Amtsleiterin „die beanstandete Verfahrensweise fortgesetzt“, heißt es in dem Schreiben. Als Disziplinarmaßnahme wurde ihr für die Dauer von 18 Monaten das Gehalt um zehn Prozent gekürzt.

Die AfD im Bundestag kündigte an, im Juni einen Antrag für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu stellen. Dieser solle sich mit der „Flüchtlingspolitik im weitesten Sinne“ befassen, einschließlich der Bamf-Problematik, sagte Fraktionsvize Beatrix von Storch der „Welt am Sonntag“. Justizministerin Katarina Barley (SPD) regte an, Asylbescheide stichprobenartig in ganz Deutschland zu überprüfen. Dies könnte helfen, Vertrauen wiederherzustellen, sagte sie der „Bild am Sonntag“. Der stellvertretende FDP-Fraktionschef Stephan Thomae sagte: „An einem Untersuchungsausschuss führt kein Weg vorbei, anders ist eine vollständige Fehleranalyse nicht möglich.“ Am Dienstag sollen Seehofer und Cordt im Innenausschuss des Bundestages befragt werden. Ob die Affäre in einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss münden wird, ist noch unklar.