Mehr bundesweite Stichproben Behörden wollen stärker gegen Kindergeld-Missbrauch vorgehen
Berlin/Nürnberg (dpa) - Die deutschen Behörden wollen stärker gegen Betrug beim Kindergeld vorgehen. Die zuständigen Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit (BA) wollen dafür Netzwerke etwa mit der Zollfahndung bilden und Stichproben bundesweit ausdehnen - nicht nur für bestimmte Gruppen.
„Es wird keine Vorauswahl nach Nationalität geben“, sagte eine BA-Sprecherin. Angesichts eines starken Anstiegs von Zahlungen ins EU-Ausland in diesem Jahr ist der Ruf nach stärkeren Missbrauchskontrollen lauter geworden. Diskutiert wird auch wieder, die Zahlungen für Kinder im Ausland zu senken, wenn die Lebenshaltungskosten am Wohnort dort geringer sind.
Hintergrund ist ein Rekord an ausländischen Kindergeldempfängern. Zugleich sprechen mehrere Oberbürgermeister von einer zunehmenden Migration in das deutsche Sozialsystem. So sieht Duisburgs OB Sören Link (SPD) Schlepper am Werk, die Menschen in schrottreifen Wohnungen unterbringen, ihnen Scheinbeschäftigungen verschaffen und oft einen Teil der Kindergelder einbehalten. Genaue Zahlen zu einem Missbrauch von Kindergeldzahlungen in Deutschland gibt es bisher aber nicht.
Mit Stand Ende Juni zahlte der Staat Kindergeld für 15,29 Millionen Kinder. Darunter waren 268.336 Kinder, die im EU-Ausland leben - ein Plus von 10,4 Prozent im Vergleich zu Ende 2017. Darunter sind wiederum 31.512 Kinder mit deutschem Pass, etwa weil ihre Eltern für einen deutschen Arbeitgeber im Ausland arbeiten. Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 35 Milliarden Euro Kindergeld auf inländische Konten überwiesen und 343 Millionen Euro auf Konten im Ausland.
Die Familienkassen machen bereits Stichproben per Computerprogramm. „Das werden wir auch in Zukunft so machen, nur mit mehr Personal und aktiver“, sagte die BA-Sprecherin. An allen 14 regionalen Standorten der Familienkasse sollen zwei Vollzeitkräfte dafür eingesetzt werden. Auch der Aufbau des Netzwerks etwa mit dem Zoll brauche aber Zeit. „Das heißt, wir werden nicht in absehbarer Zeit damit starten, sondern irgendwann im kommenden Jahr.“ Zuerst hatte der „Spiegel“ über eine Ausweitung der Überprüfungen berichtet.
In Nordrhein-Westfalen waren bei Stichproben von 100 Verdachtsfällen 40 ungerechtfertigte Anträge gefunden worden. „Solche Zahlen sind bei dem künftigen deutschlandweiten Verfahren nicht zu erwarten“, betonte die Sprecherin. In NRW seien Fälle herangezogen worden, bei denen es schon einen Anfangsverdacht gegeben habe. Bei der neuen bundesweiten Stichprobe könne es dagegen grundsätzlich jeden treffen.
Neben stärkeren Kontrollen werden Forderungen laut, Migrationsanreize beim Kindergeld zu beseitigen - indem die Höhe der Zahlung an geringere Lebenshaltungskosten in anderen EU-Ländern angepasst wird. Der parlamentarische Geschäftsführer der CSU im Bundestag, Stefan Müller, sprach von „zügellosen Kindergeldtransfers“ ins Ausland, mit denen „endlich Schluss“ gemacht werden müsse. „Es freut mich, dass auch die SPD jetzt handeln möchte, wo sie in der letzte Wahlperiode blockiert hat.“ CDU-Innenexperte Armin Schuster forderte, in gewissen Fällen zu prüfen, ob der Aufenthalt in Deutschland zu beenden sei.
Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sagte: „Jeder Staat muss seine Kindergeldzahlungen an die Lebenshaltungskosten im Wohnsitzland der Kinder anpassen dürfen.“ Es sei bedauerlich, dass erst Notrufe von unmittelbar betroffenen Oberbürgermeistern notwendig seien, das Problem mit Nachdruck anzugehen.“
Der Paritätische Gesamtverband verteidigte dagegen die geltenden Regelungen. „Im Regelfall geht es um die Kinder von Eltern, die hier in Deutschland erwerbstätig sind - und zwar nicht nur scheinbar“, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider der dpa. Sie zahlten auch Steuern nach deutschem Recht.
Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagte: „98 Prozent aller Kinder, für die Kindergeld gezahlt wird, leben in Deutschland.“ Wenn Eltern der anderen Kinder hierzulande am Bau oder der Pflege schufteten und Unterstützung für ihre Kinder bekämen, sei das fair. Sie warnte, dass geringere Zahlungen je nach Lebenshaltungskosten auch deutsche Kinder träfen, „die zum Beispiel in Krakau studieren“. Die EU-Kommission betonte, eine Anpassung von Zahlungen an die Lebenshaltungskosten am Wohnort des Kindes sei wegen des Verbots von Diskriminierung nirgendwo im EU-Recht vorgesehen.