Umfrage zu Knigge Benimmregeln für Flüchtlinge? - Viele Kommunen sind skeptisch

Der Ort Hardheim im Odenwald hatte die Idee für einen Leitfaden für Flüchtlinge. Die Benimmregeln wurden kritisiert. Ob der Vorschlag als Modell für andere Kommunen gilt, zeigt eine dpa- Umfrage.

Zwei Flüchtlinge lesen in Hardheim eine ausgedruckte Version des Leitfadens mit Benimmregeln für Flüchtlinge, den die Stadtverwaltung unter Kritik auf ihrer Internetseite veröffentlicht hat.

Foto: Christoph Schmidt

Berlin/Mainz. Einen „Knigge“ für Flüchtlinge - die Idee eines Leitfadens mit Verhaltensregeln - wird in Deutschland bisher eher skeptisch aufgenommen. In den Erstaufnahmestellen der Länder finden sich Hausordnungen, und in zahlreichen Städten und Gemeinden gibt es Broschüren oder Flyer - doch sie sind eher als Orientierung gedacht, nicht als Maßregelung. Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg spricht gar von einem Aprilscherz, wenn es um schriftliche Benimmregeln geht, ergab eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur.

Der 4600-Einwohner-Ort Hardheim im Odenwald hatte sich für die rund 1000 dort untergebrachten Flüchtlinge einen Leitfaden ausgedacht. Die Regeln stießen auf Kritik. „Deutschland ist ein sauberes Land und das soll es auch bleiben!“, heißt es darin. Außerdem „In Deutschland bezahlt man erst die Ware im Supermarkt, bevor man sie öffnet.“ Und: „Unsere Notdurft verrichten wir ausschließlich auf Toiletten, nicht in Gärten und Parks, auch nicht an Hecken und hinter Büschen.“

Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg hält solche Leitfäden für einen „verfrühten Aprilscherz“. „Hausordnungen hängen in jedem Hausflur und kaum einer liest sie“, sagt Geschäftsführer Karl-Ludwig Böttcher. Die Erstellung einer Hausordnung für Flüchtlinge wäre aus seiner Sicht zu aufwendig, weil sie in viele Sprachen übersetzt werden müsste. Die geltenden Regeln könnten den Flüchtlingen besser im Gespräch vermittelt werden, etwa bei Sprachkursen, meint er.

In Bremen wird der Hardheimer Verhaltenskodex als „absurd“ bezeichnet. „Die Flüchtlinge kommen aus zivilisierten Ländern und bringen Anstand und Sitte mit“, sagt der Sprecher der Senatorin für Soziales, Bernd Schneider. In Bayern sieht der Direktor des Gemeindetages, Wilfried Schober, keinen Bedarf für solche Hausordnungen. In Berlin gibt es ebenfalls nicht den Wunsch danach. Auch an der Küste macht das Beispiel Hardheim nicht Schule. Der Städteverband Schleswig-Holstein bietet dafür Willkommens-Flyer mit Tipps für Ansprechpartner bei Behörden und Hilfsorganisationen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel setzt darauf, das Grundgesetz auf Arabisch in Flüchtlingsunterkünften auszulegen. Die Stadt Celle in Niedersachsen hat das Anfang Oktober gemacht - auf Arabisch, Türkisch, Englisch und Französisch. Einen Leitfaden wie in Hardheim findet Celles Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende (SPD) problematisch. „Wir sollten Neubürgern und Schutzsuchenden nicht mit dem erhobenen Zeigefinger begegnen“, sagte er, als das Grundgesetz aufgehängt wurde.

CDU-Vize Julia Klöckner wirbt für Hausordnungen für Flüchtlinge. Sie will auch eine Integrationspflicht per Gesetz einführen. „Das hat nichts mit Rechts oder Links zu tun“, sagt sie - mit den Vorschlägen will sie auf Sorgen und Ängste der Bürger eingehen. Klöckners Parteifreund Aloysius Söhngen, Chef des Gemeinde- und Städtebundes Rheinland-Pfalz, hält Leitfäden mit Infos zu Religionsfreiheit sowie der Gleichberechtigung von Mann und Frau für sinnvoll. „Wichtig ist, dass diese leicht verständlich sind und auf Augenhöhe formuliert sind.“

In vielen Flüchtlingsunterkünften informieren Hausordnungen über Regeln des Miteinanders. Laut DRK Mecklenburg-Vorpommern, das die größte Notunterkunft im Land für 1200 Menschen betreibt, gibt es darin klare Ansagen, dass die Religion des Anderen zu achten sei, uneingeschränkte Gleichberechtigung von Mann und Frau herrsche und Anordnungen der Sicherheitskräfte Folge zu leisten sei. Drogen und Waffen sind verboten. In Hessen haben der Main-Taunus-Kreis, der wegen der kurzfristigen Aufnahme vieler Flüchtlinge zeitweise den Katastrophenfall ausrief, und die Stadt Wiesbaden Hausordnungen für Flüchtlinge in Unterbringungen ausgegeben.

Auch in den Thüringer Erstaufnahmeeinrichtungen in Eisenberg, Suhl und Mühlhausen hängen Hausordnungen. Spezielle Leitfäden für Gemeinschaftsunterkünfte in Kommunen sieht der Thüringer Landkreistag skeptisch. Das könne leicht eine Gratwanderung mit der Gefahr von Diskriminierung und Bevormundung werden. In Mecklenburg-Vorpommern haben Kommunen und Wohnungsgesellschaften Broschüren mit Verhaltenshinweisen verteilt. „Nicht zur Maßregelung, sondern als Hilfe“, sagt ein Sprecher des Städte- und Gemeindetags. Das reiche von nächtlichen Ruhezeiten bis zur Mülltrennung. In Sachsen hat die Landeshauptstadt Dresden zwei Broschüren für Asylbewerber entworfen, Leipzig bietet einen Willkommensstadtplan.

In Nordrhein-Westfalen ist kein Beispiel für Hausordnungen in kommunalen Unterkünften bekannt. Auch in Sachsen-Anhalt sind laut Städte- und Gemeindebund keine Leitfäden geplant. Im Saarland sind sie bisher ebenfalls kein Thema.

Der Herder Verlag bringt in diesen Tagen das Buchprojekt „Erste Information für Flüchtlinge“ auf Deutsch und Arabisch heraus. Der Ratgeber, der auch als App geplant ist, will einen Überblick über Politik, Recht, Religion sowie Tipps zu Asylrecht, Unterkunft und Essen geben. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung will das Buch mit verbreiten. Nach Angaben von Verlagsleiter Manuel Herder haben einige Länder Interesse signalisiert. Unter dem Titel „Wir schaffen das“ ist ein Ratgeber für Flüchtlinge von Wirtschaftswissenschaftler Ameen Alkutainy und Kommunikationsforscher Nikolaus von Wolff erschienen.