Berlin-Wahl: Tegel, Turnhallen und Termine

Berlin. Der Schuh drückt an vielen Stellen erheblich. Da sind die überlasteten Bürgerämter. Immer noch wartet man Monate auf einen Termin, um zum Beispiel einen Pass zu verlängern.

Die Vorbereitungen für die Abgeordnetenhauswahl in Berlin am 18.09.2016 haben begonnen.

Foto: Britta Pedersen

Es fehlt an bezahlbaren Wohnungen, an Lehrern, Kita-Plätzen, an Radwegen und intakten Straßen. Und gefühlt nimmt die Zahl der sozialen Brennpunkte in der Stadt zu. In Berlin, das jährlich um 40.000 Menschen wächst und bald vier Millionen Einwohner zählt, scheinen die Probleme kaum lösbar zu sein. Das macht den Ausgang der Abgeordnetenhauswahl am nächsten Sonntag so unberechenbar.

Die Regierungsbildung an der Spree dürfte schwierig werden nach dem 18. September. Zweierkonstellationen wie die derzeitige große Koalition sind nahezu ausgeschlossen. Gleich vier Parteien, SPD, Grüne, CDU und die Linke bewegen sich um die 20 Prozent, der AfD wird zwischen acht und 15 Prozent zugetraut. Und die FDP könnte knapp den Wiedereinzug schaffen, weil sie von einem inhaltlichen Alleinstellungsmerkmal beflügelt wird - die Liberalen wollen als einzige den von vielen Berlinern geliebten Flughafen Tegel offenhalten, der nach Fertigstellung des Pannen-Airports BER geschlossen werden muss.

Wie die FDP das anstellen will angesichts diverser rechtlicher Vorgaben, ist freilich ein Rätsel. Genauso allerdings, ob der BER nach mehrmals verschobenen Eröffnungsterminen überhaupt jemals den Flugbetrieb aufnehmen wird. Einen neuen Termin will der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) erst nach der Wahl verkünden. Besser ist das wohl. Müller ist der Nachfolger von Klaus Wowereit, bundesweit als "Wowi" bekannt, der vor eineinhalb Jahren den Bürgermeister-Job an den Nagel hängte. "Wowi" verlieh der Stadt Glanz und Glamour, "arm aber sexy", war sein Spruch. Müller hingegen ist ein Arbeiter, er pflegt sein Kleine-Leute-Image. Bieder und ohne große Ausstrahlung.

Zwar liegt die SPD in allen Umfragen vorne, aber nur knapp und weit entfernt vom selbst gesteckten Ziel, wieder Wowereits 28 Prozent von vor fünf Jahren zu holen. Müllers direkter Herausforderer, CDU-Mann Frank Henkel, derzeit Innensenator, ist aber nicht minder ausstrahlungsarm. Angela Merkels Berliner Zugpferd lahmt, weshalb sich die Kanzlerin nach dem Wahlsonntag erneut warm anziehen muss, falls die Hauptstadt-Union das erwartete Debakel erlebt. Das wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Müller im Amt bleibt - was die Bundespartei um Sigmar Gabriel als Erfolg dringend benötigt. Nur mit wem Müller dann koalieren kann, ist völlig offen. Rot-Grün wäre ihm lieb, Rot-Rot-Grün ginge für ihn aber auch. Mit der CDU will er nicht mehr. Merkel droht der Verlust eines weiteren, wenigstens von der Union mitregierten Landes.

Die Flüchtlingskrise hat anders als in Mecklenburg-Vorpommern den Wahlkampf nicht überlagert. Viele Turnhallen sind wieder benutzbar, das Chaos am Landesamt für Gesundheit und Soziales, kurz "Lageso", das im letzten Jahr weltweit für Schlagzeilen sorgte, ist behoben. Allerdings liegt das daran, dass auch nach Berlin kaum noch Flüchtlinge kommen. Die anderen Probleme der Stadt brennen den Berlinern deshalb umso mehr unter den Nägeln - der Müll in den Parks, das Verkehrschaos, der Zustand der Schulen, die Kriminalität. Wirklich überzeugende Lösungen für die Vielzahl der Schwierigkeiten bietet keine Partei. Berlin, so der Anschein, ist der Politik ein stückweit über den Kopf gewachsen. Manch einer glaubt allerdings, dass das genau der Charme der Stadt ist: Immer unfertig zu sein. Hier die Probleme zu lösen, benötigt Zeit. Das behaupten alle Wahlkämpfer. Trotz allem lässt es sich gut leben an der Spree. Und die Arbeitslosigkeit sinkt, die Wirtschaft wächst, stärker als woanders. Freilich von eine niedrigen Niveau aus.

Eine Partei ist übrigens gekentert, die vor fünf Jahren triumphal in das Abgeordnetenhaus einzog und Rückenwind über Berlin hinaus bekam: die Piraten. Sie zerlegten sich relativ schnell selbst. Inzwischen werden die Piraten bei den Meinungsforschern nur noch unter "Sonstige" geführt.