Bildungsbericht: Betreuungsgeld setzt falsche Anreize
Berlin (dpa) - Im neuen Bildungsbericht von Bund und Ländern warnen Wissenschaftler ausdrücklich vor der Einführung eines Betreuungsgeldes. Doch die Bundesregierung wie die CSU wollen sich die kritische Position der unabhängigen Experten nicht zu eigen machen.
Man halte weiter am Betreuungsgeld für daheim erziehende Eltern fest, hieß es am Mittwoch in Berlin und München.
Gleich an mehreren Stellen des über 340-seitigen Berichtes warnen die Wissenschaftler vor falschen Anreizen, die besonders Eltern aus bildungsfernen Schichten davon abhalten könnten, ihr ein- oder zweijähriges Kleinkind in eine Kita zu schicken. Zudem stehe der Staat jetzt schon vor erheblichen finanziellen Herausforderungen beim Ausbau der Kindertagesstätten, der Einlösung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Unter-Dreijährige sowie dringend notwendigen Qualitätsverbesserungen in Krippen wie Kindergärten.
Dagegen bestehe bei zusätzlichen Leistungen wie dem Betreuungsgeld die Gefahr, dass keines der angestrebten Ziele zufriedenstellend erreicht werde, heißt es in dem Bericht, der der Deutschen Presse-Agentur dpa vorliegt. Er soll offiziell am Freitag von der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) und vom Bundesbildungsministerium veröffentlicht werden.
„Der Bericht gibt die Meinung der unabhängigen Experten wieder, nicht aber die Meinung der Bundesregierung“, sagte ein Sprecher der Bundesbildungsministeriums. Der Bericht enthalte Aussagen über das gesamte Bildungssystem, zu denen die Regierung später Stellung nehmen werde. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) habe im Kabinett dem Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld zugestimmt, betonte der Sprecher.
CSU-Chef Horst Seehofer knüpfte erneut den Fortbestand der Koalition an die Einführung, gegen die es in CDU und FDP Widerstand gibt. „Das Betreuungsgeld ist eine conditio sine qua non (unerlässliche Bedingung)“, sagte er in München. „Die CSU würde es nicht hinnehmen, ohne Betreuungsgeld diese Legislatur abzuschließen.“
Bayerns Familienministerin Christine Haderthauer (CSU) wies die Kritik der Wissenschaftler zurück: „In den ersten drei Lebensjahren ist (...) verlässliche Bindung die beste Bildungsinvestition. Denn: Ohne Bindung keine Bildung.“ Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) erklärte: „Das Betreuungsgeld ergänzt die frühe Förderung von Kindern.“ Die Chefin der CSU-Bundestagsabgeordneten, Gerda Hasselfeldt, sagte den Blättern „Straubinger Tagblatt“/„Landshuter Zeitung“ (Donnerstag), staatliche und familiäre Erziehung dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden. „Die CSU wehrt sich entschieden gegen einen einseitigen Anreiz für eine staatliche Kinderbetreuung. Deshalb setzen wir uns nachdrücklich für das Betreuungsgeld ein.“
Etwa ein Viertel der Drei- bis Sechsjährigen in Deutschland werden laut Bericht als „sprachförderbedürftig“ eingestuft. „Die Leseorientierung in der Familie wird durch den Bildungsstand der Eltern geprägt“, heißt es in der Analyse. Kleinkinder, die diese Unterstützung aber nicht erhielten und zugleich auch keine Kita besuchten, seien bei der Bildung doppelt benachteiligt.
Dabei hätten viele Untersuchungen den Nutzen frühkindlicher Bildung in Betreuungseinrichtungen eindeutig belegt. So verfügten Kinder, die vor ihrer Einschulung mindestens drei Jahre eine Kita besuchten, in der vierten Grundschulklasse beim Lesen und beim Textverständnis in der Regel über einen Lernvorsprung von gut einem Schuljahr, heißt es weiter. Solche erheblichen Lernvorsprünge fänden sich „auffällig“ auch bei Kindern aus problematischen Elternhäusern oder aus Migranten-Familien.
Der FDP-Bildungspolitiker Patrick Meinhardt sagte: „Bayern soll sein Betreuungsgeld bekommen und nicht die Wahlfreiheit für alle anderen Bundesländer blockieren.“ Jedes Bundesland solle entscheiden, ob es das Geld in den Kita-Ausbau stecke oder für ein Betreuungsgeld in bar oder als Gutschein verwende. Grünen-Fraktionsvize Ekin Deligöz sagte: „Die Liste an fachlich fundierter Kritik am Betreuungsgeld wird immer länger.“ Die Regierung müsse endlich die Reißleine ziehen.
Für den geforderten Kita-Ausbau sehen sich die Kommunen derweil schlecht vorbereitet - weil es auch an Geld fehle. „Wir haben große Zweifel, dass der Rechtsanspruch (auf Kleinkinderbetreuung) im Sommer 2013 durchgängig zu erfüllen ist“, sagte der Städtetags-Präsident, Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), in Kassel.
Die Koalitionsfraktionen wollen das Betreuungsgeld am 29. Juni erstmals im Bundestag diskutieren und im Herbst verabschieden.