BND lässt Nazi-Vergangenheit aufarbeiten
Berlin (dpa) - Der Bundesnachrichtendienst (BND) lässt 55 Jahre nach seiner Gründung seine Nazi-Vergangenheit aufarbeiten. Unabhängig von politischen oder inhaltlichen Vorgaben soll eine vierköpfige Historikerkommission Akten aus der Frühzeit des Auslandsgeheimdienstes durchleuchten.
BND-Präsident Ernst Uhrlau sprach nach Angaben des Dienstes bei der Unterzeichnung des Vertrags mit den Historikern von einem „im wahrsten Sinne des Wortes historischen Projekt“. Es verspreche, „einen wichtigen Beitrag zum Selbstverständnis des BND und zur Entstehungsgeschichte der Bundesrepublik zu leisten“.
Die Forscher sollen in den nächsten vier Jahren die Zeit zwischen 1945 und 1968 aufarbeiten, als der BND-Vorläufer - die Organisation Gehlen - zahlreiche NS-belastete Mitarbeiter beschäftigte. Das Team besteht aus den Professoren Jost Dülffer (Universität Köln), Rolf-Dieter Müller (Humboldt-Uni Berlin und wissenschaftlicher Direktor am Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam), Klaus-Dietmar Henke (Uni Dresden) sowie Wolfgang Krieger (Uni Marburg). Sie sollen von einer internen Forschungsgruppe „Geschichte des BND“ unterstützt werden.
Der frühere Wehrmachtsgeneral Reinhard Gehlen (1902 bis 1979) hatte 1946 unter US-Führung den deutschen Auslandsnachrichtendienst mit der Bezeichnung „Organisation Gehlen“ geschaffen. Im Zweiten Weltkrieg hatte er als Leiter der Abteilung „Fremde Heere Ost“ für Hitlers Militärs Informationen über die Rote Armee zusammengetragen. 1956 gründete die Regierung von Konrad Adenauer (CDU) dann den BND. Gehlen leitete den Dienst bis 1968.
In den vergangenen Jahren hatten auch das Auswärtige Amt und das Finanzministerium mit Expertenkommissionen ihre NS-Vergangenheit aufgearbeitet. Beim BND wollen die Historiker unter anderem die Frage beleuchten, wie die Adenauer-Regierungen mit der NS-Belastung des Dienstes umgegangen sind. Müller sagte der dpa, es gehe auch um die Frage, welchen Einfluss die Beurteilung Russlands durch Gehlen auf die Entwicklung des Kalten Krieges und die Amerikaner gehabt habe.
In einem ersten Schritt werden die Historiker ein Konzept für die Arbeit mit den weit über 10 000 Aktenbänden beim BND entwickeln. Dabei sollen sie bei Bedarf von einer BND-internen Forschungs- und Arbeitsgruppe „Geschichte des BND“ unterstützt werden. Die Unabhängigkeit der Historiker werde dadurch nicht in Frage gestellt, betonte Arbeitsgruppenleiter Bodo Hechelhammer.
Die Ergebnisse der Kommissionen sollen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Vorher wird nach Angaben von Hechelhammer aber jeweils geprüft, ob Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik oder Personenrechte tangiert sein könnten.
Dülffer sagte dazu: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch substanzielle Sachen gibt, die (...) in diese Kategorie fallen.“ Müller betonte, bei der Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit werde es „keinerlei Rücksichten“ geben. Überraschend sei gewesen, dass das Kanzleramt sich „bereit gezeigt hat, einen ungehinderten Blick in seine Akten zu gewähren“. Die Kommission werde auch die Chance haben, Ex-BND-Mitarbeiter zu befragen, die bisher zur Verschwiegenheit verpflichtet waren. Einige hätten sich schon gemeldet.
Der in diesem Jahr aus dem Amt scheidende Sozialdemokrat Uhrlau hat eine Aufarbeitung der BND-Vergangenheit seit 2006 vorangetrieben. Vor einem Jahr gab der dem Kanzleramt unterstehende Dienst Akten heraus, mit denen die Nazi-Vergangenheit von Mitarbeitern in den Anfangsjahren öffentlich gemacht wurde.