Bundespräsident Gauck darf NPD-Anhänger „Spinner“ nennen
Karlsruhe (dpa) - Bundespräsident Joachim Gauck darf nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rechtsextremisten und NPD-Anhänger „Spinner“ nennen.
Das Karlsruher Gericht wies am Dienstag eine Klage der NPD ab, mit der die rechtsextreme Partei gegen entsprechende Äußerungen des Staatsoberhauptes vorgegangen war.
Gauck hatte Ende August 2013 - und damit kurz vor der Bundestagswahl - im Gespräch mit Schülern auf wochenlange, von der NPD unterstützte Proteste gegen ein Asylbewerberheim in Berlin reagiert. Vor rund 400 Jugendlichen sagte der ehemalige DDR-Bürgerrechtler: „Wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen, die den Spinnern ihre Grenzen aufweisen. Und dazu sind Sie alle aufgefordert.“
Nach Überzeugung des Gerichts hat das Staatsoberhaupt mit der Äußerung das Neutralitätsgebot nicht überschritten. Der Präsident habe sich „im Rahmen seiner Repräsentations- und Integrationsfunktion gehalten und nicht willkürlich gegen die Antragstellerin Partei ergriffen, urteilten die Richter.
Zwar könne die Bezeichnung „Spinner“ für sich betrachtet diffamierend wirken. Im konkreten Fall habe er sich aber gegen „geschichtsvergessene rechtsradikale und fremdenfeindliche Überzeugungen“ gewandt und dazu aufgerufen, mit demokratischen Mitteln zu verhindern, dass sich diese Überzeugungen durchsetzen.
Auch in einer weiteren Entscheidung stärkten die Richter das Amt des Bundespräsidenten: Das Gericht wies die Klagen von NPD-Chef Udo Pastörs (und zwei später beigetretenen Mitstreitern) gegen die Verfahren zur Wiederwahl von Bundespräsident Horst Köhler 2009 und der Wahl von Christian Wulff 2010 ab. Beide Wahlen seien verfassungskonform.
Gauck begrüßte das Urteil: „Der Bundespräsident ist dankbar für die Klarstellung des Bundesverfassungsgerichts“, sagte Staatssekretär David Gill in Karlsruhe nach einem Telefonat mit dem Staatsoberhaupt.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte in Berlin: „Gegen Extremisten ist eine klare Sprache kein verfassungsrechtliches Problem, sondern Ausdruck der wehrhaften Demokratie, die im Grundgesetz angelegt ist.“ Es sei richtig, dass der Bundespräsident das Wort auch zu Risiken und Gefahren für das Gemeinwohl ergreifen dürfe.
Ähnlich äußerte sich SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann: „Gegen die NPD brauchen wir klare Worte und deutliche Formulierungen.“ Es sei gut, dass der Bundespräsident sich weiterhin auch zugespitzt äußern könne.
Die NPD nannte die Entscheidung „grotesk“. Das Verfassungsgericht erlaube dem Bundespräsidenten, Bürger in Klassen einzuteilen, hieß es in einer Mitteilung der Partei. Gegen die NPD ist ein Parteiverbotsverfahren beim Verfassungsgericht anhängig.
Zuvor war NPD-Chef Pastörs mit dem Versuch gescheitert, zwei Präsidentenwahlen für ungültig erklären zu lassen. Pastörs war 2009 und 2010 Mitglied der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt.
Er hatte beide Male beantragt, eine „Vorstellung der Kandidaten“ auf die Tagesordnung zu setzen und wollte weitere Anträge mündlich begründen. Die NPD hatte beide Male den rechtsextremen Liedermacher Frank Rennicke ins Rennen geschickt. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der auch die Bundesversammlung leitet, ließ die Anträge unter Verweis auf das Grundgesetz nicht zur Abstimmung zu.
Die Mitglieder der Bundesversammlung hätten nicht die Rechte von Bundestagsabgeordneten, entschieden die Verfassungsrichter. Das Grundgesetz sehe die Wahl des Staatsoberhauptes „ohne Aussprache“ vor. Die Würde des Amtes schließt demzufolge Personal- oder Sachdebatten aus.