Frage des Gewissens Bundestag soll über Ehe für alle abstimmen

Berlin (dpa) - Nach einem überraschenden Kursschwenk von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) soll der Bundestag noch in dieser Woche über die völlige rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen abstimmen.

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Die SPD, die die sogenannte Ehe für alle seit langem fordert, will das Thema auf die Tagesordnung setzen. Nach jahrelanger Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Ehe mit vollem Adoptionsrecht erklärte die Unionsfraktion die Abstimmung zur Gewissensfrage. Damit entfällt der Fraktionszwang im Bundestag, der Abgeordnete an die Linie der Parteiführung binden soll. Die Abstimmung könnte am Freitag sein.

Homosexuelle Paare in Deutschland können ihre Lebenspartnerschaft seit 2001 offiziell eintragen lassen. Inzwischen sind sie in vielen Bereichen wie im Erbrecht oder beim Ehegattensplitting Eheleuten gleichgestellt, aber nicht in allen - vor allem fehlt ihnen das uneingeschränkte Adoptionsrecht.

CDU-Chefin Merkel betonte nach Teilnehmerangaben in der Unionsfraktion, es gehe bei der Ehe für alle um eine Gewissensentscheidung. Deswegen könnten die Abgeordneten frei abstimmen. Bei einer Abstimmung ohne Fraktionszwang gilt eine Mehrheit für die volle Gleichstellung als sicher.

Merkel war am Montagabend überraschend vom klaren Nein der CDU abgerückt. Nach dpa-Informationen hatte die CDU-Vorsitzende diese Linie mit CSU-Chef Horst Seehofer abgesprochen. Aus den Reihen von SPD und Grünen, aber auch der CDU waren daraufhin Forderungen laut geworden, eine Abstimmung noch in der bis Freitag laufenden letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause zu ermöglichen.

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) rief die Unionsabgeordneten den Angaben zufolge auf, in möglichst großer Zahl an der Abstimmung teilzunehmen. Jene, die eine völlige Gleichstellung Homosexueller mit der Ehe von Frau und Mann ablehnten, sollten respektvoll mit der Meinung der anderen umgehen. Kauder kündigte an, selbst mit Nein zu stimmen. In der Unionsfraktion wurde damit gerechnet, dass zwei Drittel bis drei Viertel der insgesamt 309 CDU/CSU-Abgeordneten an diesem Freitag mit Nein stimmen würden, falls es zur Entscheidung kommen sollte.

Laut Grundgesetz sind die Abgeordneten bei jeder Abstimmung nur ihrem Gewissen verpflichtet. Allerdings hat sich im Laufe der parlamentarischen Arbeit ein sogenannter Fraktionszwang durchgesetzt, mit dem eine Fraktionsführung die Parteilinie absichern will.

Merkel kritisierte das Vorgehen der SPD in der Unionsfraktion laut Teilnehmerkreisen als „überfallartiges Verfahren“. Sie sprach von einem emotional tief bewegenden Thema und appellierte an die Abgeordneten, bei dieser Gewissensentscheidung Respekt für die Meinung der anderen zu haben. Die CDU-Vorsitzende habe auch deutlich gemacht, dass es aus ihrer Sicht besser gewesen wäre, nach der Bundestagswahl in Ruhe zu diskutieren.

Die CSU erklärte, ihre Grundposition beinhalte nicht die so Ehe für alle. „Gleichwohl haben wir Respekt und Verständnis, wenn Bundestagsabgeordnete der CSU bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag ihrem Gewissen folgend eine abweichende Entscheidung treffen“, teilte die CSU nach einer kurzfristigen Telefonkonferenz der Parteispitze in München mit.

Die Spitzen der Unionsfraktion hatten zuvor deutlich gemacht, dass sie gegen eine Abstimmung noch vor der Wahl sind. Kauder warf dem Koalitionspartner einen „Vertrauensbruch“ vor. Ein solch sensibles Thema „einfach Knall auf Fall“ in den Bundestag zu bringen, zeige, „dass diese Partei ihrer Verantwortung in schwerer Zeit nicht gerecht werden kann“. Der CSU-Abgeordnete Peter Ramsauer warnte die CDU vor einer Zerstörung letzter konservativer Werte. „Ich will das Thema überhaupt nicht im Bundestag haben“, sagte Ramsauer der „Rheinischen Post“ (Mittwoch).

In den Fraktionsspitzen von Union und SPD hieß es, man rechne trotz eines möglichen Votums nicht mit einem vorzeitigen Ende der schwarz-roten Koalition vor der Bundestagswahl. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz betonte: „Wir lassen die Koalition nicht platzen.“

Dem Bundestag liegen drei Gesetzentwürfe für die Gleichstellung von Ehen Homosexueller vor - von den Linken, den Grünen und vom Bundesrat. Die große Koalition aus Union und SPD ist in der Frage gespalten und hat bislang eine Abstimmung zu der Frage verhindert, indem sie im Rechtsausschuss das Thema 30 mal vertagte. Die drei Gesetzentwürfe schlagen übereinstimmend vor, Paragraf 1353 des Bürgerlichen Gesetzbuchs so zu ergänzen, dass klar gestellt wird, dass auch gleichgeschlechtliche Personen eine Ehe eingehen können.