Bundestagsvize: Roth setzt sich intern durch

Künast zieht Kandidatur kurzfristig zurück. Partei würdigt jahrelange Leistung.

Berlin. Die besten Zeiten sind vorbei. So dachte Claudia Roth vielleicht an jenem November-Montag vor einem Jahr, als sie vor Kameras und Mikrofonen um Fassung rang. Beim Mitgliedervotum über die grüne Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl war sie glatt durchgefallen.

Die Basis mochte sich lieber für die Außenseiterin Katrin Göring-Eckardt erwärmen als für die alt gediente Partei-Chefin. Dienstag gab es wieder ein internes Votum. Diesmal in der Bundestagsfraktion. Und diesmal ging es für Claudia Roth gut aus.

Die einen steigen auf, die anderen ab. Schon kurz nach der Wahlniederlage vom 22. September hatte Roth ihren Rückzug vom Parteivorsitz angekündigt, bei der Gelegenheit aber zugleich ihren Anspruch auf einen Stellvertreterposten des Bundestagspräsidenten geltend gemacht. Genauso wie auch Renate Künast (57), ebenfalls grünes Urgestein, aber mit nur noch wenig Rückhalt in den eigenen Reihen. Dienstag zog Künast ihre Bewerbung im letzten Moment zurück.

Nicht wenige sahen in beiden Kandidaturen einen Versuch, den eigenen Bedeutungsverlust mit einem hübschen Versorgungsposten zu kompensieren. 12 375 Euro brutto, ein stattliches Büro nebst Zuarbeitern und Dienstwagen sind kein Pappenstil.

Das überzeugende Wahlergebnis für Roth — immerhin erhielt sie 54 von 63 Stimmen — legt aber nahe, dass hier auch noch andere Motive eine Rolle spielen. Die Vizechef-Posten werden in aller Regel verdienstvollen Abgeordneten zuteil. Und Verdienste um die Partei kann man ihr wirklich nicht absprechen.

2001 wurde sie erstmals Vorsitzende der Grünen. Drei Jahre später kam Roth erneut in dieses Amt, das sie seitdem ununterbrochen ausübt. So lang wie niemand bei den Grünen vor ihr. Wo immer es um Menschenrechte oder die Verfolgung Homosexueller geht oder eine Benachteiligung von Migranten, ist Roth emotional zur Stelle. Aber sie ist auch schrill und zuweilen unangenehm überspannt. Eine grüne „Lady Gaga“.

Genau das macht Roth aber auch ziemlich einzigartig. Die Partei weiß, was sie immer noch an ihr hat. Gern erzählt die in Ulm geborene und in Bayern aufgewachsene Vollblutpolitikerin die kuriose Geschichte, wie sie einst überhaupt zu den Grünen gekommen ist. Als Managerin der 68er-Kultband „Ton Steine Scherben“ musste sich Roth nach etwas Neuem umsehen, weil sich die Band 1985 aufgelöst hatte.

Für deren letzte Platte wurde damals in der Zeitung „taz“ Reklame gemacht, und just daneben fand sich eine Anzeige der noch jungen grünen Bundestagsfraktion: Pressesprecherin gesucht. Roth bewarb sich erfolgreich mit einem längeren Schreiben und einem gemeinsamen Foto mit der Band, weil sie keines von sich allein hatte. Der Sprecherposten war die Eintrittskarte für eine bemerkenswerte politische Karriere.