Meinung Der Tag nach Balkonien - Ein Kommentar zum Scheitern von Jamaika

Außer für die, die es in Wahrheit genau so geplant hatten, kam der Abbruch der Jamaika-Sondierungen in der Nacht zum Montag wahrscheinlich wirklich überraschend.

Auf Angela Merkel kommen nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen schwierige Wochen zu.

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Was die FDP da am späten Sonntagabend aufführte, beschrieb Julia Klöckner (CDU) sehr zutreffend als „gut vorbereitete Spontanität“. Dass die FDP im Alleingang das Aus der Sondierungen verkündete, als ginge es dabei um eine FDP-Angelegenheit und nicht etwa um die Zukunft Deutschlands — nun, das ist der Unterschied zwischen schwarzweiß fotografierter Eitelkeit und stilvollem Scheitern.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner wird sich in den Talkshows der kommenden Tage nun sicher als aufrechte Größe darzustellen versuchen. Das ist er nicht. Er ist in Wahrheit bloß derjenige Junior-Partner, der Jamaika nicht auf die Reihe gebracht hat. Angela Merkel dürfte sich in ihrer Haltung Lindner gegenüber bestätigt sehen, den sie immer für den gehalten hat, der hinter dem Sturz von Guido Westerwelle stand.

Wie auch immer: Das war es also vorerst mit den Bildern von „Balkonien“, wie der Raucher-Austritt am Gebäude der Parlamentarischen Gesellschaft von den Hauptstadt-Korrespondenten scherzhaft genannt wurde, und wo in den vergangenen vier Wochen viele Bilder der Jamaika-Sondierer entstanden. Dass es mit Jamaika nun wohl nichts wird, ist vor allem für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine schwere Belastung und spricht auch nicht dafür, dass sie in den Gesprächen die nötige Führungsstärke gezeigt hätte.

Nun wird für die geschäftsführende Kanzlerin alles noch schwerer. Wäre es nur das Genöle einer konservativen Minderheit in der CDU — damit würde sie wohl fertig. Vor allem die CSU steht aber vor dramatischen parteiinternen Wochen: Mit Rücksicht auf die Jamaika-Sondierungen hatte sie ihren für das vergangene Wochenende geplanten Parteitag auf den Dezember verschoben. Dort droht ein offener Machtkampf um den Parteivorsitz zwischen Horst Seehofer, dem ihm innig verhassten Finanzminister Markus Söder und Vize-Ministerpräsidentin Ilse Aigner. Der Termin ist nicht mehr zu ändern, fällt also mitten in die mögliche nächste Sondierungsphase — mit wem auch immer.

Am Zug ist nun auf jeden Fall die Kanzlerin. Knapp acht Wochen nach der Wahl hat sie das weitere Vorgehen gestern mit dem Bundespräsidenten besprochen — der glücklicherweise seit Februar der sehr versierte Politiker Frank-Walter Steinmeier (SPD; ruhende Mitgliedschaft) und nicht irgendein gutmeinender vergeistigter Professor oder Pastor ist, der sich einreden ließe, nun seien aber mal flugs Neuwahlen angezeigt. Steinmeier hat das Verfahren in der Hand, und das ist gut so. Das kurzeStatement, das Steinmeier am Montagnachmittag abgab, war eine Ohrfeige sowohl für die FDP — als auch für die SPD.

Dass Steinmeier bürgerlich-demokratische Parteien daran erinnern muss, dass sie sich am 24. September um Verantwortung für Deutschland und keineswegs nur die eigenen Wähler beworben haben — peinlich für Lindner. Ganz klar an ihn ging der Satz des Bundespräsidenten: „Wer sich um politische Verantwortung bewirbt, darf sich nicht drücken, wenn er sie in Händen hält.“

Realistisch muss man allerdings davon ausgehen, dass die FDP sich bei CDU/CSU und Grünen mit ihrem Alleingang so unmöglich gemacht hat, dass eine Rückkehr zu Jamaika-Gesprächen unrealistisch erscheint. Angezeigt sind jetzt zuerst noch einmal Gespräche zwischen Merkel und der SPD, egal wie oft Martin Schulz in den vergangenen Wochen nach seiner bitteren Niederlage verkündet hat, seine Partei stehe für eine Fortsetzung der abgewählten großen Koalition nicht zur Verfügung.

Diese Haltung sollte die SPD mit oder ohne Martin Schulz noch einmal überdenken. Es widerspricht ihrer Historie, in einer herausfordernden Situation im FDP-Stil mehr an sich als an das Land zu denken. Und wie ein glücklicher Zufall es will, findet ihr Bundesparteitag bereits am 7. Dezember in Berlin statt. Wenn die SPD es wollte, würde sie es mit ihrer strengen Geschäftsordnung irgendwie in Einklang bringen, diesen Parteitag wenigstens zu befragen, ob man nicht doch einer Sondierung zustimmen will.

So oder so hat Angela Merkel vorerst die Kontrolle über ihre Kanzlerschaft verloren. Irgendwann in Kürze wird der Bundespräsident dem Bundestag eine Kanzlerin oder einen Kanzler zur Wahl vorschlagen müssen — dazu muss der/die Regierungschef/in keine ausverhandelte Koalition vorweisen können. Man könnte es ja auch mal mit einer Minderheitsregierung versuchen; auf Länderebene war das bisher immer mal wieder möglich. Und mit den Grünen würde es wohl klappen.

Erst wenn der Bundestag partout keine/n Kanzler/in wählen will, kann der Bundespräsident den Bundestag auflösen. Aber so weit ist es noch lange nicht. Bundespräsident Steinmeier wird den Parteien jedenfalls nicht dabei helfen, sich vor ihrer Verantwortung zu drücken.