Deutsche Grundschüler in Lesen und Mathe gut
Berlin (dpa) - Deutschlands Grundschüler haben im weltweiten Vergleich von rund 50 Staaten ihren Platz im oberen Leistungsdrittel knapp verteidigen können.
Gleichwohl zeigen die am Dienstag in Berlin vorgestellten neuen Untersuchungen IGLU und TIMSS auch die Schwächen der deutschen Grundschulen: Nach wie vor ist der Bildungserfolg extrem abhängig von der sozialen Herkunft. Beim Lesen, Rechnen und auch in den Naturwissenschaften gibt es zu wenig Spitzenschüler in Deutschland. Und bis zu jedes fünfte Kind gilt als „Risikoschüler“, das mit seinen Leistungen hinterher hinkt.
Der Schulforscher Wilfried Bos sagte: „Deutschland hat mit seinen Gesamtleistungen die hohe Position halten können - und dies unter erschwerten Bedingungen.“ So sei der Anteil der Migrantenkinder in deutschen Grundschulen auf rund 27 Prozent gestiegen - ein Viertel mehr als noch vor zehn Jahren. Insgesamt befinde sich die Bundesrepublik auf Augenhöhe mit den wichtigen OECD-Industrienationen.
Allerdings gebe es auch deutliche Anteile von Grundschülern, die in allen drei Bereichen so schlecht seien, dass sie auf ihrem weiteren Schulweg ab Klasse fünf erhebliche Probleme bekommen dürften, räumte der deutsche IGLU- und TIMSS-Leiter ein. Beim Lesen sind dies 15,4 Prozent aller Zehnjährigen, in Mathematik 19,3 Prozent und in Naturwissenschaften sogar 22 Prozent.
Dagegen zählen in Deutschland nur 9,5 Prozent der Zehnjährigen in der wichtigsten Lernkompetenz Lesen und Textverständnis zu den Spitzenschülern. In England sind dies dagegen 18,3 Prozent, in den USA 17,3. Bos: „Das veranlasst einen zur Sorge. Wir vergeuden unsere Talente.“ Noch weniger Spitzenschüler in Deutschland gibt es in Mathematik. Nur 5,2 Prozent der Zehnjährigen erreichen dort die höchste Leistungsstufe. Bos: „Wir schöpfen die Luft nach oben nicht optimal aus.“
Gleichwohl räumte der Wissenschaftler auch mit Vorurteilen auf. Denn immer mehr Kinder in Deutschland lesen laut der Untersuchung gerne und häufig - ungeachtet aller Warnungen vor einer verkümmernden Lesekultur durch Fernsehen und Internet. Nie außerhalb der Schule lesen nur 11 Prozent. Bos: „Unsere Kinder lesen viel, und sie lesen gerne. Das ist eine große Leistung unserer Grundschulen und auch unserer Elternhäuser.“
An der Spitze beim Lesen liegen erneut die Zehnjährigen aus Hongkong. Sie haben gegenüber Gleichaltrigen aus Deutschland einen Lernvorsprung von etwa einem dreiviertel Schuljahr. Noch ausgeprägter ist der Wissensabstand zwischen Schülern aus Singapur, Korea oder Hongkong gegenüber denen aus Deutschland in Mathematik. Der Lernvorsprung der Asiaten beträgt dort fast zwei Jahre. Bos sprach von einer „anderen Lernkultur in Asien“.
Die neue IGLU-Untersuchung entkräftet zugleich Vorurteile zur Erziehung in Familien mit Migrationshintergrund. Bos: „Es sind gerade 4 Prozent unserer Migranten, wo zu Hause nie Deutsch gesprochen wird. Da kann man kann schwerlich von Parallelgesellschaft sprechen.“ Insgesamt seien die Migranten die Bildungsgewinner im aktuellen Grundschultest. Gleichwohl gelinge die Migrantenförderung in der Bundesrepublik schlechter als im Schnitt der anderen Industrienationen.
Auch in den deutschen Grundschulen ist der Bildungserfolg nach wie vor abhängig von der sozialen Herkunft. „Ein Kind von einem Professor oder einem Chefarzt hat eine 4,7-fache Chance zur Gymnasialempfehlung im Vergleich zu einem Facharbeiter“, erläuterte Bos. Viertklässler, deren Eltern mehr als 100 Bücher zu Hause haben - was laut IGLU als Statuskriterium gilt - sind mit ihren Lernleistungen Gleichaltrigen aus anderen Familien im Schnitt ein Jahr voraus.
Der Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK), Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD), verwies auf die Reformanstrengungen der Länder in den vergangenen Jahren. So sei die Sprachförderung überall ausgebaut werden. Gleichwohl müsse sie jetzt „nachjustiert“ und müsse auch die Lehrerbildung gestärkt werden. Rabe sprach sich auch für mehr Ganztagsschulen aus. Auch dort könne der Unterricht noch verbessert werden.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sprach angesichts der gemischten Ergebnisse von Schönrednerei. „Bereits seit einigen Jahren gibt es deutliche Anzeichen, dass die Grundschulen durch die Vielzahl schlecht vorbereiteter Reformmaßnahmen in ihrer positiven Entwicklung gestört worden sind“, sagte GEW-Vizechefin Marianne Demmer. „Mit ihrer Testeritis und den verpflichtenden Vergleichsarbeiten haben die Kultusminister aufs falsche Pferd gesetzt.“ Investiert werden müsse in Lehrerfortbildung und in individuelle Unterstützungsmaßnahmen für schwächere Schüler.