Studie Deutschland in Hetze - Wie empfinden Arbeitnehmer die Job-Qualität?
Multitasking und Rödeln ohne Pause gehören für Viele zum Arbeitsalltag. Vor allem bei den ohnehin schon belasteten Arbeitnehmern kommt häufig noch etwas obendrauf.
Berlin. Wenige Pausen, kaum ein Moment zum Abschalten, ständige Unterbrechungen bei der Arbeit - für Millionen Arbeitnehmer in Deutschland ist Arbeit eine Aneinanderreihung von Stressfaktoren. „Die Arbeitsbedingungen werden von den Arbeitnehmern insgesamt alles andere als gut bewertet“, sagt DGB-Chef Reiner Hoffmann. „Die Ursache dafür ist insbesondere der zunehmende Arbeitsdruck, die Verdichtung und die Belastung bei der Arbeit.“ Wo kommt der Stress genau her?
Zunächst ist Hektik im Job laut dem am Donnerstag präsentierten „DGB-Index Gute Arbeit“ eher die Regel als die Ausnahme: Etwas mehr als jeder zweite Beschäftigte fühlt sich sehr oft oder oft gehetzt oder zumindest unter Zeitdruck. Häufigste Ursache ist der Umfrage zufolge Multitasking: Von denen, die besonders im Stress sind, haben nach eigenen Angaben 65 Prozent oft zu viel gleichzeitig um die Ohren. Betroffen sind vor allem Mitarbeiter der Informationsbranche, der Banken, Versicherungen und der öffentlichen Verwaltung.
Fast ebenso oft schlägt in den Augen der Betroffenen aber auch zu wenig Personal durch. In den Augen von 63 Prozent der Gehetzten verteilt sich zu viel Arbeit auf zu wenige Schultern. Besonders wer seine Arbeitsbedingungen auch aus anderen Gründen ohnehin schon als mies empfindet, sieht sich auch durch zu wenig Personal unter Druck.
An dritter Stelle stehen bei den Ursachen für Stress ungeplante Zusatzaufgaben (bei 61 Prozent der Gehetzten), zu knappe Zeitvorgaben (54 Prozent), eine zu hohe Erwartungshaltung von Kunden oder Patienten (41 Prozent). Jeweils rund ein Drittel der Gehetzten klagt über zu lange Entscheidungswege oder zu hohe Vorgaben im Betrieb.
Schlechte Zustände im Job kommen selten allein. „Auffallend ist, dass bei Arbeitnehmern mit besonders vielen Überstunden dann auch noch die Pausen ausfallen“, sagt Hoffmann. Fast ein Drittel der Beschäftigten insgesamt verzichtet auf Pausen oder verkürzt sie. Von denen, die auch außerhalb ihrer normalen Arbeitszeiten oft für ihren Arbeitgeber erreichbar sein müssen, haben 55 Prozent auch kaum Pausen - bei Beschäftigten mit mindestens 45 Wochenstunden im Job sind es 48 Prozent. Erzieher und Lehrer liegen hier mit an der Spitze.
Verdi-Chef Frank Bsirske sieht eine direkte Verbindung vom Dauerstress zum Krankenlager. Tatsächlich weisen die Krankenkassen seit Jahren immer mehr Krankheitstage wegen psychischer Erkrankungen aus. Und auch ein großer Teil der Frühverrentungen geht darauf zurück. Aber was folgt nun daraus?
Die IG Metall legte schon vor drei Jahren einen Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor. Unternehmen sollten unter anderem verpflichtet werden, lösbare, aber nicht unterfordernde Arbeitsaufgaben zu stellen und für einen gesunden Arbeitsrhythmus zu sorgen. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) trieb auch eine Prüfung der Sache voran - doch in Zeiten von Wachstumsrisiken und Flüchtlingskrise ist nichts mehr davon zu hören.
Der DGB-Chef selbst führt ein Beispiel an, in dem eine Dienstvereinbarung mit dem Personalrat Abhilfe schaffte. In einer Schule nahe Frankfurt/Main sei es zuvor üblich gewesen, dass Lehrern per SMS noch am Sonntagabend Vertretungsstunden für den Tag darauf mitgeteilt wurden - inklusive der Aufforderung, dafür Dutzende Seiten zu lesen. Und Bsirske kündigt an, den Kampf um gute Personalschlüssel weiter voranzutreiben.
Gar nicht einverstanden mit der Stoßrichtung der DGB-Präsentation sind die Arbeitgeber: „Die Unternehmen bemühen sich nach Kräften, die Erwartungen ihrer Kunden bestmöglich zu erfüllen, ohne ihre Beschäftigten zu überfordern“, betont die Arbeitgebervereinigung BDA. Sie führt andere Umfragen an, nach denen dies auch meist gelingt. So zeige eine Erhebung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, dass mehr als 70 Prozent derer, die häufig mit mehreren Aufgaben gleichzeitig befasst sind, sich dadurch nicht belastet fühlen.