Doppelte Staatsangehörigkeit Die verfehlte Doppelpass-Debatte

Immer mehr Unions-Politiker stellen sich im Konflikt mit der Türkei hinter den Beschluss gegen die doppelte Staatsangehörigkeit.

Doppelte Staatsangehörigkeit: Die verfehlte Doppelpass-Debatte
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Düsseldorf. Bei einer Bevölkerung von 81,4 Millionen Menschen in Deutschland zählte das Statistische Bundesamt im Jahr 2015 knapp 1,8 Millionen „deutsche Doppelstaatler“. Der Anteil der eingebürgerten Deutschen mit zusätzlichem türkischen Pass betrug lediglich 246 000 Menschen. Zum Vergleich: 466 000 Menschen haben neben dem deutschen auch noch einen polnischen oder einen russischen Pass. Auch Italiener und Rumänen kommen zusammen auf 184 000 Doppelstaatler.

Das zeigt, was der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen wirklich meint, wenn er behauptet, die doppelte Staatsbürgerschaft habe sich nicht bewährt: er meint die Integration der Deutsch-Türken.

Richtig ist nämlich das Gegenteil von Röttgens Behauptung: Die doppelte Staatsbürgerschaft funktioniert als Lebenserleichterung für Deutsch-Polen, Deutsch-Russen, Deutsch-Italiener und Deutsch-Rumänen ganz wunderbar und völlig reibungslos. Das gilt auch für Briten, Franzosen und Amerikaner. Allein überall dort, wo Paare verschiedener Nationalität ihren Kindern die Option doppelter Staatsangehörigkeiten eröffnen können, wird das ganz alltägliche Leben leichter.

Woher Röttgen und andere in der CDU das Wissen nehmen wollen, dass ausgerechnet die 246 000 Deutsch-Türken mit Doppelpass ein Problem darstellen (und nicht etwa Teile der 1,4 Millionen rein türkischen Staatsbürger in Deutschland), wird wohl ihr Geheimnis bleiben, da es darüber kaum verlässliche Erkenntnisse gibt.

Gegen den Willen von Angela Merkel als Parteivorsitzender hatte der CDU-Bundesparteitag im Dezember in Essen auf Initiative der Jungen Union beschlossen, die „Abschaffung der Befreiung von der Optionspflicht für in Deutschland geborene Kinder von ausländischen Eltern“ zu fordern: „Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, die dauerhaft in Deutschland leben wollen, sollen sich klar für oder gegen die deutsche Staatsangehörigkeit entscheiden.“

Erst 2014 war — mit den Stimmen der CDU — die Optionspflicht für Kinder ausländischer Eltern weggefallen. Seither mussten sie sich nicht mehr zwischen ihrem 18. und 23. Lebensjahr für eine Nationalität entscheiden. Die Kanzlerin und Parteivorsitzende reagierte prompt und erklärte, sie werde den Beschluss nicht umsetzen (was sie in der großen Koalition gegen die SPD auch gar nicht könnte).

Aus der SPD donnerte es, Röttgen und die CDU legten die Axt an die Integrationserfolge der letzten Jahre, so Bundes-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“, es sei infam, Kampagnen der türkischen Regierung mit der doppelten Staatsbürgerschaft in Verbindung zu bringen.

Tatsache ist, dass türkische AKP-Politiker seit Jahren alles tun, um Türken in Deutschland von genau der Integration abzuhalten, die mit der Einführung des Doppelpasses intendiert war — und sich das eine Menge Geld kosten lassen. Beispiele: 2013 kostete ein türkischer Reisepass für in Deutschland lebende Türken noch 211 Euro; seit 2017 gibt es ihn für maximal 104 Euro. Die Kosten des Freikaufs vom türkischen Militärdienst wurden von 6000 auf 1000 Euro gesenkt. Es gibt Goldprämien für werdende Mütter, Flugreisen-Rabatte für Familien und, und, und.

Während die Anreize, auch im Ausland Türke zu bleiben, seit der Regierungsübernahme durch die AKP deutlich gestiegen sind, sind es die Anreize zu mehr Integration in Deutschland nicht. Das liegt (auch) daran, dass die Deutschen sich — historisch bedingt — lange nicht festlegen mochten, welcher Idee von Staatsbürgerschaft sie folgen wollen, während sich das Land selbst in eine faktische Einwanderungsgesellschaft verwandelte: Soll Deutscher sein, wer nach dem Territorialprinzip in Deutschland geboren wurde (lateinisch: ius soli), oder soll Deutscher sein, wer nach dem Abstammungsprinzip deutsche Eltern hat (ius sanguinis)? Was wollen wir sein: Eine „ethnische“ Nation, in der Blut und Abstammung über die Zugehörigkeit entscheiden? Oder eine „republikanische“, in der Bekenntnis und Verfassungstreue die Bedingungen sind, Deutscher zu werden?

Mit der Internationalisierung privater wie staatlicher Beziehungen nahm seit den 60er Jahren weltweit die Zahl der eigentlich von allen Ländern unerwünschten Doppelstaatsbürgerschaften zu. Der eindeutige Trend, der jedoch lange an Deutschland vorbei ging, war: Akzeptanz der Doppelstaatlichkeit, um die zunehmende Kluft zwischen Staatsvolk und Wohnbevölkerung eines Landes zu schließen, denn die Aufgabe der „alten“ Nationalität stellte in allen Untersuchungen regelmäßig das Haupthindernis einer Einbürgerung dar.