Auftritt in Kamen Martin „Schnulz“ auf dem Weg nach Berlin

Nach sechs Wochen hat der designierte SPD-Vorsitzende und Kanzlerkandidat am Sonntag seine Deutschlandreise mit einem Heimspiel im Nordrhein-Westfälischen Kamen beendet.

Martin Schulz am Sonntag in Kamen.

Foto: Ulli Tückmantel

Kamen. Im Kreis Unna muss „er“ seine Sprechchöre nicht selbst anfeuern, nicht einmal im Spaß. Zwei Stunden sitzt seine Anhängerschaft in der knallvollen Kamener Stadthalle und wartet auf „ihn“. Draußen vor der Halle wartet ein Häufchen AfD-Anhänger wie bestellt und nicht abgeholt. Die Polizei bietet an, das Hausrecht durchzusetzen, aber die SPD denkt nicht einmal daran. „Er“ kommt dort nicht einmal vorbei, aber die Rechtspopulisten kommen ihm gut zupass — und liefern Martin Schulz eine selten dämliche Vorlage.

Zu Emmanuel, einem „Farbigen“ (wie Schulz es ausdrückt) mit Glitzer-Hut in Deutschland-Farben, hätten die vor der Halle gesagt, er solle den Hut absetzen; das seien nicht seine Farben. „Er“ aber sagt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist stolz auf Emmanuel“, und die Halle jubelt. Der 39-jährige schwarze Deutsche aus Iserlohn lebt und arbeitet seit fast 20 Jahre hier. Vom Industriemechaniker zum Galvaniseur und inzwischen Eventmanager hat Emmanuel sich hochgearbeitet — und jetzt ist er in die SPD eingetreten. Wegen Martin.

Auftritt von Martin Schulz in Kamen
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Nach der Veranstaltung ist Schulz von jungen Neumitgliedern umringt, die sich Autogramme in ihre frisch erworbenen Parteibücher geben lassen und seine Unterschrift bestaunen. Die meisten aus der Töchter-Generation, für die Schulz in seiner Rede den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit fordert. Viel mehr Neues hat Schulz zum Abschluss seiner sechswöchigen Kandidaten-Tour durch Deutschland nicht im Gepäck. Er lobt ausdrücklich den Europäer Helmut Kohl. Schulz könnte sich zu Erdogan und dessen Ministern äußern, zu den Niederlanden, aber das tut er nicht. Der „Schulz-Express“, wie die SPD seine Veranstaltungsreihe nennt, steht auf einem anderen Gleis.

Es geht um Geschichten aus einem erfolgreichen Land, das nicht gerecht zu allen ist. Es geht um Gerechtigkeit für die hart arbeitenden Menschen. Den 53-Jährigen mit dem unsicheren Arbeitsplatz, dessen Kinder noch nicht aus dem Haus sind, der aber auch die Pflege seiner Eltern stemmen muss und nachts nicht schlafen kann. Und neuerdings um den Bäcker, der brav Steuern zahlt, während die amerikanische Kaffee-Kette von gegenüber jedes Steuerschlupfloch nutze.

Neben Schulz verblasst sogar Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die zum Auftakt mit nach Kamen gekommen ist. Und dort erlebt, wie sich Kameras und Selfie-Handys an Martin Schulz heften, selbst noch während ihrer kurzen Rede. Schulz erzählt von sich, vom Scheitern und wieder Aufstehen, von Würselen und Heimat, die ein Stück Identität sei. Von Bankrott-Bankern und ihren Bonuszahlungen und von der kleinen Kassiererin, die für eine Lappalie ihren Job verliert. Wie der politische Gegner frage, ob man ohne Abitur überhaupt Kanzler werden könne. „Der nächste deutsche Bundeskanzler hat kein Abitur, aber einen Bart“, ruft Schulz in die applaudierende Halle.

Weil er diese Geschichten erzähle, erzählt Schulz, werfe der politische Gegner im Sozialpopulismus vor. Die anderen hätten jetzt sogar ein Plakat gemacht, dass ihn als „Martin Schnulz“ zeige, „wirklich toll gemacht“. Aber, erzählt Schulz, er erzähle diese Fälle nicht aus populistischen Motiven, sondern weil sie repräsentativ seien. Er schildere reale Probleme. Und über den 53-Jährigen erzähle er nicht, weil er über Arbeitsmarktreformen von 2003 sprechen wolle, sondern über den Facharbeitermangel der Zukunft. Weshalb aus der Bundesagentur für Arbeit eine für „Arbeit und Qualifikation“ werden müsse.

Und sollte trotzdem der „Schulz-Effekt“ (was ja nichts anderes ist, als: Populismus) daran schuld sein, dass die AfD in den jüngsten Umfrage auf acht Prozent gefallen ist, dann wäre er „auf nichts mehr stolz“, sagt Schulz. Da haben die AfDler vor der Tür längst ihren Kram zusammengepackt und sind abgerückt. Über Kamen strahlt die Sonne, über der SPD Martin Schulz. Die Frage ist nur: wie lange noch?

Am kommenden Sonntag stellt sich Martin Schulz in Berlin zur Wahl durch seine Partei. Kein anderes Programm, keine Konkurrenz. Zuerst redet Schulz, dann wird als Parteivorsitzender gewählt. Anschließend wird der SPD-Kanzlerkandidat bestimmt, um 15 Uhr spricht der neue Vorsitzende die Schlussworte. Zu einer Partei, deren einziges Programm bis nach der NRW-Wahl „Martin Schulz“ heißt. Und die nichts gegen Martin „Schnulz“ hat, so lange es funktioniert.