Döring folgt Lindner als FDP-Generalsekretär
Berlin (dpa) - Mit einem überraschenden Rücktritt hat FDP- Generalsekretär Christian Lindner die Krise seiner Partei verschärft und die Kritik an der schwarz-gelben Koalition angeheizt.
Lindners Rückzug ohne nähere Begründung noch vor dem Ergebnis des heiklen FDP-Mitgliederentscheids zum Euro-Rettungsschirm ESM versetzten die Partei von Vizekanzler Philipp Rösler am Mittwoch in neuen Aufruhr. Rösler beteuerte: „Jetzt werden wir (...) nach vorn schauen.“
Nachfolger Lindners wird FDP-Fraktionsvize und Schatzmeister Patrick Döring. Er wolle das Amt mit „großer Energie und großem Ehrgeiz angehen, sagte Döring in einer kurzen Stellungnahme am Abend. Die FDP müsse wieder zu Geschlossenheit zurückfinden. Die „liberale Fahne“ solle spätestens beim traditionellen Drei-Königstreffen am 6. Januar in Stuttgart wieder aufgerichtet werden, kündigte Döring an.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erwartet von dem Wechsel in dem Parteiamt des Koalitionspartners keine negativen Auswirkungen auf die schwarz-gelbe Bundesregierung. Bei einer schnellen Entscheidung könne die „Regierung völlig unbeschadet davon zusammenarbeiten“, sagte sie.
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte im Bundestag an die Adresse Merkels: „Wenn ich die Nachrichten von heute Morgen richtig bewerte, dann ist Ihre Regierung im Augenblick dabei, Ihnen um die Ohren zu fliegen. (...) Die FDP hat sich mit ihrem Mitgliederentscheid in eine Sackgasse manövriert.“ Sie sei unfähig, die für Deutschland und Europa nun nötigen Entscheidungen mitzutragen. Grünen-Geschäftsführerin Steffi Lemke meinte, Lindners Rücktritt beschleunige die Selbstzerstörung der FDP.
Rösler sagte, er bedauere Lindners Schritt. Das Verhältnis der beiden gilt aber seit längerem als angespannt. FDP-Vize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte, der Rücktritt sei ein „Schock für die FDP“. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle bekannte: „Der Rücktritt von Christian Lindner kam für mich völlig überraschend. Ich bedauere seine Entscheidung in dieser Situation, muss sie aber respektieren. (...) Philipp Rösler hat meine Unterstützung.“ Lindner galt neben Rösler und Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) nach der Ära von Parteichef Guido Westerwelle als Strippenzieher der neuen Führung.
In FDP-Führungskreisen wurde Unmut über Lindner laut. „Es handelt sich um eine Art Fahnenflucht, um der Verantwortung für die FDP zu entgehen“, hieß es. Damit wolle sich Lindner die Chance erhalten, zu einem späteren Zeitpunkt selbst Parteivorsitzender zu werden. Bahr sagte, ein so großes politisches Talent wie Lindner könne in einigen Jahren wieder eine herausgehobene Position in der Partei haben. Im WDR erklärte er: „Ich gehe davon aus und erwarte es auch, dass Philipp Rösler jetzt zügig Führung zeigt und damit deutlich macht, er ist der Vorsitzende, er weiß, wohin er die FDP führen will.“
Lindner war wie Rösler in die Kritik geraten, weil er die Initiatoren des Mitgliederentscheids zum ESM vor Ablauf der Frist für gescheitert erklärt hatte. An diesem Freitag soll bekanntgegeben werden, wie die Parteibasis zu dem milliardenschweren Rettungsfonds steht. Initiator Frank Schäffler (FDP) will mit der Befragung der Mitglieder ein Nein seiner Partei im Bundestag zum ESM erzielen. Nach Ansicht der Opposition wäre die Regierung Merkel in einem solchen Fall am Ende.
Lindner sagte: „Es gibt den Moment, in dem man seinen Platz frei machen muss, um eine neue Dynamik zu ermöglichen. Die Ereignisse der letzten Tage und Wochen haben mich in dieser Einschätzung bestärkt.“ Er verließ das Rednerpult im Thomas-Dehler-Haus, der Parteizentrale, mit den Worten: „Auf Wiedersehen.“ „Saarbrücker Zeitung“ und „Rheinische Post“ berichteten, es werde erwogen, den Haushaltsexperten der Fraktion, Otto Fricke, zum Schatzmeister zu machen.
Am Mittwoch erklärte auch der Vorsitzende der saarländischen FDP-Fraktion, Christian Schmitt, seinen Rücktritt. Nach Informationen der „Saarbrücker Zeitung“ soll er seinen Schritt mit Intrigen gegen seine Person und Kritik an der Jamaika-Koalition mit CDU und Grünen aus den eigenen Reihen begründet haben.
Der frühere FDP-Innenminister Gerhart Baum forderte in mehreren Medien den Rücktritt des ganzen FDP-Präsidiums und sagte, die Partei sei noch nie zuvor in solcher Lebensgefahr gewesen. In diesem Jahr flog sie aus mehreren Landtagen und liegt im Bund laut Umfragen deutlich unter fünf Prozent. In den vergangenen Tagen gab es Spekulationen über einen Rücktritt von Rösler selbst, was aber von führenden FDP-Politikern zurückgewiesen wurde.
Rösler steht seit seinem Amtsantritt im Mai unter Beschuss. Damals hatte er angekündigt, die FDP werden nun „liefern“. Die damit geweckten Erwartungen konnte er bislang aber nicht erfüllen.
Lindners Rücktritt stürzt die Liberalen nach Ansicht des Kieler Fraktionschefs Wolfgang Kubicki in eine neue Führungskrise. Er befürchte jetzt weitere Personaldebatten, sagte Kubicki der Deutschen Presse-Agentur in Kiel. „Das ist etwas, was wir jetzt eigentlich am wenigsten gebrauchen können.“ In Schleswig-Holstein ist am 6. Mai 2012 Landtagswahl.