„Essen ist kein Kulturgut mehr“
Pferd in der Lasagne, Dioxin in Eiern — kaum ein Jahr ohne Lebensmittelskandal. Aus Expertensicht fehlt es am Kontrolldruck.
Berlin. Kriminelle haben es in der deutschen Lebensmittelbranche aus Expertensicht zu einfach. Es mangelt demnach an Kontrolldruck. „Nach unseren Berechnungen fehlen um die 1500 Prüfer“, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure Deutschlands (BVL), Martin Müller (Foto: dpa). Die Prüfer haben 2012 in gut jedem zweiten Betrieb mit negativem Prüfergebnis Hygienemängel festgestellt. Das Bundesamt für Verbraucherschutz hat am Dienstag die Bilanz für 2012 vorgestellt.
Herr Müller, in Lasagne steckt Pferdefleisch und Zehntausende Kinder erkranken an chinesischen Erdbeeren. Warum gibt es in Deutschland eigentlich immer wieder Lebensmittelskandale?
Martin Müller: Zum einen, weil gerade in Deutschland Essen kein Kulturgut mehr ist, das Menschen zusammenbringt und Zusammenhalt schafft. Es verkommt hier zur Energieaufnahme und wird immer billiger. Hersteller werden bei Verfälschungen immer kreativer. Die kriminelle Energie ist immer da zu finden, wo es besonders leicht ist, entsprechende Lebensmittel in den Handel zu bringen.
Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern?
Müller: Wenn wir in Deutschland die nötige Zahl an Kontrolleuren hätten, könnten wir einen Kontrolldruck aufbauen und dafür sorgen, dass Angst da ist. Ich bin davon überzeugt, dass zum Beispiel im aktuellen Fall des Fleischbetriebs in Bad Bentheim das Ausmaß des Fleischskandals längst nicht so groß gewesen wäre, wenn häufiger kontrolliert worden wäre.
Wie sollte die Lebensmittelüberwachung idealerweise aussehen?
Müller: Der Verbraucher, der im Januar südländische Erdbeeren kauft, will nicht erst einen Monat später darüber informiert werden, dass sie Pestizide enthalten haben. Er würde doch lieber hören, dass die Erdbeeren schon vor dem Verkauf aus dem Verkehr gezogen wurden. Eine gute Lebensmittelüberwachung zeichnet sich nicht durch eine große Anzahl von Strafanzeigen aus, sondern dadurch, dass sie mit einer guten Portion Männer- und Frauenpower dafür sorgen kann, dass Dinge verhindert werden. Doch das ist derzeit nicht möglich.
Wie viele Kontrolleure fehlen in Deutschland?
Müller: Wir haben derzeit genau 2450 Kontrolleure. Nach unseren Berechnungen fehlen um die 1500 Prüfer. Lebensmittelüberwachung wird leider nach Kassenlage gemacht.
Sie haben sich gegen die Zuständigkeit der Länder bei den Kontrollen ausgesprochen - warum?
Müller: Weil sie untereinander konkurrieren. Jedes will das Beste sein. Wir haben keinen vernünftigen Datenfluss zum BVL. Was nützt es daher, jeweils den Status quo vom Vorjahr zu veröffentlichen? Mit einigen Sonderprüfungen wird vielleicht etwas herausgekitzelt, aber das Grundproblem wird nicht beseitigt. Kann ja auch nicht, weil die Lebensmittelüberwachung ländergeführt und nicht Sache des Bundes ist.