Europäischer Gerichtshof berät über Vorratsdatenspeicherung

Berlin/Luxemburg (dpa) - Ist es verhältnismäßig, massenhaft Telefon- und Internetverbindungen auf Vorrat zu speichern - zum Kampf gegen Terror und Kriminalität? Die Frage beschäftigt den Europäischen Gerichtshof.

Die Bundesjustizministerin will dessen Antwort nicht erst abwarten.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte eine Abkehr von der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung in ganz Europa. Sie appellierte am Dienstag zum Start der Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof an die EU-Akteure, das Ergebnis des Verfahrens nicht erst abzuwarten, sondern den bisherigen „Irrweg“ gleich zu verlassen. „Es wird Zeit für eine neue europäische Richtlinie, die nicht mehr jeden EU-Bürger unter Generalverdacht stellt“, schrieb die Ministerin in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Weite Teile der Union - allen voran Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) - halten die Vorratsdatenspeicherung dagegen für unentbehrlich.

Telekommunikationsunternehmen in der EU sind seit einigen Jahren verpflichtet, Verbindungsdaten ihrer Kunden auch ohne konkreten Anlass oder Verdacht bis zu zwei Jahre lang aufzubewahren, damit Fahnder zur Aufklärung schwerer Verbrechen darauf zugreifen können. Die Regelung ist in Europa aber hoch umstritten. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg verhandelt nun über die Verhältnismäßigkeit des Instruments. Ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet.

Das Gericht soll unter anderem klären, ob die Pflicht zur Aufbewahrung der Daten mit den Rechten auf Privatsphäre und freie Meinungsäußerung sowie dem Datenschutz vereinbar ist. Im konkreten Fall geht es um Klagen aus Irland und Österreich, die nationalen Gerichte baten den EuGH um Hilfe bei der Auslegung von EU-Recht. Die Entscheidung hat aber Bedeutung über die Einzelfälle hinaus.

In Deutschland gibt es derzeit keine gesetzliche Vorgabe zur Vorratsdatenspeicherung, weil sich die schwarz-gelbe Regierungskoalition in der Frage uneins ist. Das Bundesverfassungsgericht hatte die deutsche Regelung 2010 gekippt. Seitdem streiten Union und FDP über eine Neufassung.

Leutheusser-Schnarrenberger wehrt sich vehement dagegen, die EU-Richtlinie umzusetzen. Sie hält die Regelung für einen besonders schweren Eingriff in die Grundrechte. „Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung der EU gehört in die Geschichtsbücher und nicht in die nationalen Gesetze“, sagte sie der „Welt“.

Die Piratenpartei bezeichnete die Vorratsdatenspeicherung als „Dammbruch schlechthin zu einer vollprotokollierten Kommunikationsgesellschaft“. Die Grünen beklagten, das Instrument sei „nichts anderes als der Überwachungsstaat“. Beide verlangten ein klares Votum des Gerichtshofs gegen die Datenspeicherung.

Die Verhandlung in Luxemburg stehen unter dem Eindruck der Vorwürfe gegen den US-Geheimdienst NSA, massenhaft Mails, Telefonate und Internetkommunikation in Europa und Deutschland zu überwachen. In der Union hatte es zuletzt einzelne Stimmen gegeben - allen voran von CSU-Chef Horst Seehofer -, die dafür warben, sich angesichts des Spähskandals von der bisherigen harten Linie zu verabschieden.

Friedrich plädierte dagegen trotz des Datenskandals für ein Festhalten an der Vorratsdatenspeicherung. Zum Schutz der Bürger vor Terrorismus und Kriminalität müssten Verbindungsdaten eine Zeit lang gespeichert werden, sagte er der „Bild“-Zeitung. „Dabei muss der Schutz vor unberechtigtem Zugriff in die Privatsphäre stets gewährleistet bleiben.“ Auch mehrere Unions-Innenminister aus den Ländern werteten die Vorratsdatenspeicherung als unverzichtbar.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann hielt den Koalitionären vor, ihre gegenseitige Blockade führe zum Stillstand. Wegen des Dauerstreits gebe es keine deutsche Initiative zur Überarbeitung der EU-Richtlinie. „Das ist schlicht beschämend.“