„Muster des Wegsehens“ Fall Bundeswehr: Streit über von der Leyens Krisenstrategie

Berlin (dpa) - Herrschen systematische Missstände in der Bundeswehr oder bringen Einzelfälle zu Unrecht die ganze Truppe in Verruf: Verteidigungsexperten streiten über die richtigen Schlussfolgerungen aus der Affäre um rechtsextreme Soldaten.

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Generalinspekteur Volker Wieker kritisierte, in der Bundeswehr habe sich gegenüber rechtsextremen Soldaten ein „Muster des Wegsehens“ etabliert. Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe sieht die Truppe hingegen grundlos unter einen Pauschalverdacht gestellt. Für neuen Ärger sorgen zudem ein aufgebrochener Panzer und gestohlene Gewehre.

Wieker sagte dem „Spiegel“, rechtsextreme Tendenzen in der Bundeswehr würden seit Jahren unterschätzt und teils auch ignoriert. „Die beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) erfassten rechtsextremen Verdachtsfälle waren seit Jahren rückläufig, vielleicht hat damit einhergehend unsere Sensibilität ein wenig abgenommen.“ Ein Bericht der „Rheinischen Post“ hatte jüngst einen Rückgang der vom MAD registrierten rechtsextremistischen Verdachtsfälle in der Truppe von 585 Fällen im Jahr 2010 auf 227 im vergangenen Jahr bescheinigt.

Wiekers äußerte sich konkret zur Affäre um den terrorverdächtigen Oberleutnant Franco A. und ein mögliches Netzwerk rechtsgesinnter Verbündeter in der Truppe. „Im Fall von Franco A. ist auf den zuständigen Ebenen viel zu lange weggesehen worden“, sagte der Viersterne-General. „Konkrete Hinweise wurden nicht ernstgenommen.“ Die Truppe müsse sofort umsteuern und „die Selbstreinigungskräfte der Bundeswehr auf allen Ebenen wieder stärken“.

Mit Blick auf den Fall um Franco A. ordnete Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) jüngst die Durchsuchung aller Kasernen nach Wehrmachtsdevotionalien wie Stahlhelmen oder Gewehren an.

Ihr Parteifreund Rühe hält das für Aktionismus. „Es ist völlig unangemessen und absurd, die ganze Bundeswehr unter einen Wehrmachtsverdacht zu stellen“, sagte der frühere Verteidigungsminister (1992-1998) der „Welt am Sonntag“. So sei „ein Zerrbild der Bundeswehr“ entstanden, das immensen Schaden angerichtet habe - auch innerhalb der Truppe. Diese müsse „nicht von der Wehrmacht befreit werden“.

Auch der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter, bis 2016 Präsident des Verbandes der Bundeswehr-Reservisten, warnte in der „Welt am Sonntag“ vor „Kurzschlusshandlungen“. Die angekündigte Überarbeitung des Traditionserlasses müsse „sehr behutsam und wirklich bedacht“ angegangen werden.

Der sogenannte Traditionserlass hält fest, wie sich die Bundeswehr mit Blick auf ihre historischen Ursprünge verhalten soll. Das Regelwerk ist umstritten und wurde seit 1982 nicht mehr aktualisiert.

Wie jetzt erst bekannt wurde, hat das Verteidigungsministerium bereits im Januar entschieden, die Verteilung des aktuellen Liederbuchs der Bundeswehr zu stoppen. Das Streitkräfteamt erhielt den Auftrag, eine neue Liederliste zu entwickeln. Stein des Anstoßes waren laut einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland unter anderem das Volkslied „Schwarzbraun ist die Haselnuss“, das „Westerwald-Lied“ und das „Panzerlied“, das zwar in der Zeit des Nationalsozialismus entstanden war, aber textlich verändert wurde.

Das AfD-Parteivorstandsmitglied Georg Pazderski warf von der Leyen vor, sie mache die Bundeswehr zum Ziel von „Gesinnungsterror“ und Zensur. „Das traditionelle Liederbuch der Bundeswehr zu zensieren ist paranoid“, sagte der pensionierte Oberst am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. Damit werde der Truppe „das letzte bisschen Identität“ genommen. Dies gefährde den „inneren Zusammenhalt der Truppe“, genau wie die Durchsuchung der Kasernen. Soldaten würden so zu „Duckmäusern und Denunzianten“ erzogen.

Auch der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Wolfgang Hellmich (SPD), kritisierte von der Leyen scharf - allerdings wegen eines Waffendiebstahls in der Truppe. „Wenn G36-Sturmgewehre aus einem Panzer entwendet werden, ist das ein schwerwiegender Vorfall, über den die Obleute des Verteidigungsausschusses informiert werden müssen.“ Das sei nicht geschehen, obwohl der Vorfall bereits drei Monate zurückliege, sagte Hellmich der „Welt“. Kritik daran kam auch von den Grünen.

Unbekannte hatten auf dem Truppenübungsplatz Munster in Niedersachsen einen „Fuchs“-Panzer aufgebrochen und zwei G36-Sturmgewehre, eine P8-Pistole, eine Signalpistole, zwei Funkgeräte, zwei Magazine ohne Munition und ein Doppelfernrohr gestohlen. Ob es einen Zusammenhang zwischen dem Diebstahl und der Gruppe um Franco A. gibt, ist nach Angaben des Verteidigungsministeriums bislang nicht bekannt.