Flüchtlingsheime: „Ich sehe völlige Überforderung“
Im Essener Heim ist eine Lokalpolitikerin zur Anlaufstelle geworden. Sie erlebt dort unhaltbare Zustände.
Düsseldorf. Montagmittag stand er plötzlich in Anabel Jujols Büro. Ein älterer Mann mit einem dringenden Anliegen. Er sei Roma und lebe im Opti-Park, der Essener Großunterkunft für Flüchtlinge.
In jener Landeseinrichtung, in der Bewohner ähnlich wie in Burbach misshandelt worden sein sollen. Seine Frau sei schwer krank. Krebs im fortgeschrittenen Stadium. Sie brauche dringend palliativmedizinische Versorgung, aber der Arzt käme nur einmal die Woche ins Heim. Er wisse nicht, an wen er sich noch wenden könne.
Anabel Jujol ist parteilose Abgeordnete im Essener Stadtrat und zu einer Art Erste-Hilfe-Anlaufstelle für Bewohner der Flüchtlingsunterkunft geworden. Sie beschreibt die Zustände in dem Heim als dramatisch. „Es gibt noch immer kein warmes Wasser, weil die Duschen defekt sind. Seit zwei Monaten wird die Kleiderkammer nicht eingerichtet, obwohl sich die blauen Säcke mit Kleidungsspenden stapeln und die Menschen hier zum Teil keine Schuhe haben. Den Zugang zu spezieller Babynahrung gibt es so gut wie gar nicht.“
Sie könne sich nicht vorstellen, dass diese Zustände menschenwürdig seien, sagt die parteilose Lokalpolitikerin, die fast jeden Tag zum Opti-Park fährt. Was sie vor allem wütend macht: „Ich erlebe hier unglaubliche Einzelschicksale, und ich fühle mich sehr alleingelassen von den Kommunalpolitikern vor Ort. Es scheint hier immer noch enorme Berührungsängste zu geben.“
Auch Jujol sieht „eine völlige Überforderung“ der Mitarbeiter in dem ehemaligen psychiatrischem Krankenhaus, wo statt der ursprünglich vorgesehenen 300 inzwischen knapp 500 Menschen wohnen. Betrieben wird die Einrichtung genauso wie das Heim in Burbach vom Essener Unternehmen European Homecare (EHC), das an beiden Orten den Sicherheitsdienst SKI engagierte.
In Essen laufen derzeit drei Anzeigen wegen Körperverletzung. Anabel Jujol, die vier Sprachen spricht und deshalb mit vielen Bewohnern direkt kommunizieren kann, kritisiert, dass einige mutmaßliche Zeugen der Übergriffe inzwischen in kommunale Heime versetzt wurden und deshalb nur noch schwer zu den Ermittlungen beitragen könnten.
In Burbach wird weiterhin gegen sechs Sicherheitsleute ermittelt. Wie in Essen richtet sich auch dort die Kritik vermehrt auf den Heimbetreiber. Der Geschäftsführer des in die Kritik geratenen Sicherheitsunternehmens SKI, Walter Stilper, etwa behauptet, dass das sogenannte „Problemzimmer“ von Sozialarbeitern eingerichtet wurde. „Wir hätten dort 14-Jährige einsperren sollen oder auch Frauen — das ist doch vollkommen krank.“ In diesem Zimmer soll das Video gedreht worden sein, das den Skandal aufgedeckt hat.
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