#ParisAttack Forscher zur Terror-Angst: „Wir wollen nicht feiger werden“
Haben Paris und Hannover den Effekt, dass sich bald niemand mehr raustraut? Nein, sagt der Forscher Wolfgang Kaschuba. „Wir leben mit diesem Risiko.“
Berlin (dpa). Der Migrations- und Metropolenforscher Wolfgang Kaschuba glaubt nicht, dass die Anschläge von Paris und die Terrordrohung von Hannover das Leben in Deutschland nachhaltig beeinflussen werden. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur nennt er die Gründe dafür.
Frage: Die Deutschen haben dieses Jahr ein Wechselbad der Gefühle erlebt. Nach der Euphorie der Willkommenskultur folgte die Angst vor Kontrollverlust, nun kommt noch die Bedrohung durch den Terror dazu. Das ist ein ziemlich wildes Gemisch, oder?
Antwort: Ja, wir haben jetzt in der Tat auch noch den Paris- und Hannover-Effekt, und das ergibt zusammen ein Gemisch von ganz widersprüchlichen Gefühlen. Da ist zum einen eine Spannung in uns allen. Und dann haben wir eine Spannung zwischen Gruppen: Zwischen Willkommenskultur und Pegida liegen natürlich Welten. Das sind extreme Widersprüche innerhalb der Gesellschaft. Ich habe allerdings den Eindruck in den letzten Tagen, trotz Paris: Pegida bleibt dennoch relativ isoliert. Wir kommen nicht in eine Situation wie in Frankreich, wo der Front National ja doch auf breiter Basis abschöpfen kann.
Frage: Sie sprechen vom Paris- und Hannover-Effekt. Wie wirkt sich der auf unsere Gefühlslage aus?
Antwort: Ich habe trotz dieses Schocks, trotz dieses Traumas den Eindruck: Die Leute sehen, was da wirklich passiert ist. Die Toten sind aus 16 Nationen. Sie gehörten sämtlichen Religionen oder Atheismen an. Die Menschen sehen also, dass diese Morde keine unmittelbare Wirkung von irgendetwas sind wie zum Beispiel Flüchtlingskonstellationen. Deshalb fand ich, dass zum Glück - mit Ausnahme einiger bayerischer Provinzpolitiker - niemand versucht hat, Kapital daraus zu schlagen. Das muss auch Grundsatz sein. Die Zivilbevölkerung akzeptiert diesen Grundsatz zurzeit wesentlich besser als die Politik. Die Zivilgesellschaft weiß, dass sie mit dieser Bedrohung leben muss, weil sie so leben will, wie sie lebt.
Frage: Sie glauben also nicht, dass die Leute jetzt weniger ins Fußballstadion oder auf den Weihnachtsmarkt gehen?
Antwort: Ich glaube, das Draußen-Sein, das Gemeinsam-Dinge-Erleben-Wollen ist so stark in die Textur unserer Städte und unserer Mentalität eingeschrieben, dass wir uns das nicht nehmen lassen wollen. Wir wollen nicht zurück in die verbarrikadierte Fernseh-Ecke der 70er Jahre, und wir wollen auch nicht zurück in eine überkontrollierte Gesellschaft. Wir leben mit diesem Risiko. Alle bisherigen Erfahrungen aus den Städten, die dies erlebt haben, von New York über Madrid bis Paris, zeigen: Wir gehen relativ bald zum Alltag über. Wir werden etwas vorsichtiger, aber wir wollen nicht feiger werden. Nicht weil wir Heroen sind, sondern weil wir unseren Lebensstil in der Offenheit und Toleranz eben in der Tat leben wollen.