G20-Gipfel verpasst Chance
St. Petersburg (dpa) - Die internationale Gemeinschaft bleibt eine gemeinsame Antwort auf den Bürgerkrieg in Syrien schuldig. Statt eines vereinten Vorgehens spalten die drohenden Angriffe der USA gegen das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad die G20.
Am Ende des Treffens im russischen St. Petersburg stand US-Präsident Barack Obama im Kreis der Staats- und Regierungschefs der weltgrößten Volkswirtschaften mit seinen Plänen für eine Aktion ohne UN-Mandat weitgehend isoliert da. Russlands Präsident Wladimir Putin - enger Verbündeter Syriens - warnte am Freitag die USA vor dem Bruch des Völkerrechts.
Wirtschaftspolitisch konnte die Gipfelrunde Erfolge vorweisen. Für global operierende Großkonzerne wie Google und Apple soll es künftig schwerer werden, durch legale Geschäfte zwischen Tochterunternehmen im großen Stil Steuern zu sparen. Im Kampf gegen Steuerflucht privater Anleger wollen die G20-Staaten einen automatischen Austausch von Informationen über Geldgeschäfte.
Dass Obama mit seiner Drohung an Assad ernst machen könnte, lässt sich aus der Ankündigung einer Erklärung an die Nation am kommenden Dienstag ableiten. Der US-Präsident sagte, die Mehrheit der G2o-Staaten sei überzeugt, dass das Assad Regime Giftgas gegen die Bevölkerung eingesetzt habe. „1400 Menschen wurden vergast“, sagte Obama. Darunter seien 400 Kinder gewesen. Er räumte ein, dass die Staaten mehrheitlich ein Mandat des UN-Sicherheitsrates wünschten. „Es gibt eine Zeit, in der wir schwierige Entscheidungen treffen müssen.“
Nächste Woche könnte auch der Kongress in Washington grünes Licht für einen Syrien-Angriff geben.
Das Weiße Haus veröfentlichte nach dem Gipfel in St. Petersburg eine Erklärung, in der die USA mit zehn anderen Staaten dem syrischen Regime die Verantwortung für den Einsatz von Chemiewaffen zuweist. „Wir fordern eine starke internationale Antwort auf diese schwere Verletzung weltweiter Regeln“, heißt es in dem Papier. Deutschland beteiligte sich nicht an dieser Erklärung. Der Bundesregierung liege „zuvorderst daran, eine gemeinsame EU-Haltung zu erreichen, um die sich derzeit die EU-Außenminister bei ihrem informellen Treffen in Wilna bemühen“, sagte ein Regierungssprecher. „In Absprache mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, Hermann Van Rompuy, hat die Bundeskanzlerin deswegen eine Vorfestlegung vermieden.“
Auch Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping warnte Obama vor einem Angriff. Xi Jingping sagte nach chinesischen Angaben: „Eine politische Lösung ist der einzig richtige Ausweg aus der Syrienkrise - ein Militärschlag kann die Probleme nicht an der Wurzel packen.“
China hat wie Russland bislang alle Versuche im Sicherheitsrat blockiert, spürbaren Druck auf Assad auszuüben. Länder, die ein gewaltsames Eingreifen befürworten, seien in der Minderheit, unterstrich Putin. Auf der Seite der USA stünden Frankreich, Kanada und Australien. „Ich erinnere daran, dass das Ergreifen von Gewalt gegen einen souveränen Stadt nur in dem Fall möglich ist, wenn dies der Selbstverteidigung dient.“ Putin kündigte weitere, auch militärische Hilfe für Syrien an.
Auch in einem persönlichen, etwa 30 Minuten langen Gespräch kamen sich Putin und Obama in der Syrien-Frage nicht näher. „Wir sind jeder bei seiner Meinung geblieben, aber es gibt einen Dialog“, sagte er. Auch Obama sprach danach von einer offenen konstruktiven Unterhaltung.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte zur Syrienkrise nach dem Gipfel: „Es ist im Augenblick noch nicht absehbar, dass es hier zu einer einheitlichen UN-Resolution und einheitlichen UN-Bewertung kommt.“
Der italienische Premierminister Enrico Letta bedauerte den Streit über das weitere Vorgehen in der Syrienkrise. Er nannte die Spaltung der G20-Staaten „sehr schmerzhaft“.
Trotz der Angriffspläne will auch Obama ein Ende des Bürgerkrieges, bei dem inzwischen mehr als 100 000 Menschen gestorben sind, auf dem Verhandlungswege erreichen. An der geplanten Genfer Konferenz müsse auch Russland teilnehmen, sagte Obamas stellvertretender Sicherheitsberater Ben Rhodes.
Für die Europäische Union ist ein möglicher US-Angriff eine gewaltige politische Herausforderung. Die 28 Mitglieder suchen weiter eine gemeinsame Haltung. „Die Diskussion dauert noch an(...)“, sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Frankreich will als bisher einziges EU-Land an einer US-geführten Militäraktion teilnehmen.
Frankreichs Präsident François Hollande kündigte an, die Entscheidung des US-Kongresses und den UN-Bericht über den mutmaßichen Giftgaseinsatz vor einem eigenen militärischen Eingreifen in Syrien abwarten zu wollen.
Die Europäische Union und die Vereinten Nationen forderten mehr humanitäre Hilfe für die Bürgerkriegsopfer in Syrien. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte: „Die humanitäre Lage in Syrien ist schlimm und wird schlimmer.“
Hilfsorganisationen forderten die G20 auf, endlich eine politische Lösung für Syrien zu finden. „Es gibt keine Alternative zu einer internationalen Friedenskonferenz in Genf“, so die Kinderhilfsorganisation World Vision.
Der achte G20-Gipfel seit dem Fast-Zusammenbruch der Weltwirtschaft 2008 konnte Fortschritte in der gemeinsamen Wirtschaftspolitik verbuchen. Zufrieden zeigte sich Merkel mit den Vereinbarungen gegen Steuerflucht und zu Schattenbanken.
Die G20 habe sehr erfolgreich beraten, sagte sie. Die Runde sei überzeugt gewesen, dass das Vertrauen in die Euro-Zone zurückkehre. Die Lage der Weltwirtschaft werde aber als fragil eingeschätzt. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte mit Blick auf die Entspannung in der Euro-Schuldenkrise: „Wir sind nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit, im Gegenteil.“
Merkel begrüßte, dass es endlich einen Zeitplan gibt, um Regeln für Schattenbanken aufzustellen. Dies sei hart erkämpft worden. Schattenbanken operieren wie Großbanken mit ähnlichen Geschäften in Milliarden-Höhe, unterstehen aber laxeren Kontrollen
Hilfsorganisationen begrüßten die Einigung zum Kampf gegen Steuerflucht, wünschten sich aber, dass ärmere Staaten eingebunden werden. „Mit der Einigung auf ein faireres globales Steuersystem haben die G20 einen entscheidenden Schritt gegen Steuervermeidung getan“, sagte Oxfam-Sprecher Jörn Kalinski.