Gipfel "G20 in Hamburg? Eine Schnapsidee"

Für den G20-Gipfel ist die Hamburger Messe zur Festung geworden. Die Anwohner sind genervt, Geschäftsleute haben geschlossen und die Fenster verrammelt. Derweil wird der Protest generalstabsmäßig geplant.

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Hamburg. Die Karolinenpassage gehört mit zu den idyllischsten Straßen in Hamburg. Alte Häuser, schöner Stuck, Efeu rankt sich an den Fassaden - hier lebt man gerne. Hier wohnt aber auch der Widerstand. Tina, so etwas wie die Kiezbürgermeisterin, brüllt gleich los: „Ey, das ist privat. Fotos verboten!“ In der Karolinenpassage sind sie extrem genervt. Denn die Straße führt direkt zur Hamburger Messe.

Genervt von der Presse und den Kamerateams, von den Hubschraubern und der Polizei, die immer mehr Mensch und Material in dem traditionell linken Viertel aufbietet. Vor allem aber sind die Bewohner verärgert über das Ereignis: „G20 in Hamburg? Eine Schnapsidee“, steht auf einem Tuch, das sie zwischen ihre Häuser gespannt haben. Ausgerechnet hierhin, wo Linkssein gelebt wird, kommt der Gipfel der Reichen und Mächtigen auf Einladung der Kanzlerin. Die Messe ist zur Festung geworden, rundherum sind Absperrgitter aufgestellt, in den Nebenstraßen stehen die Wasserwerfer und Hunderte Polizisten. Betonklötze versperren die Zufahrtswege. Geschäftsleute haben die weiße Fahne gehisst: „Hier geht gar nichts mehr“, sagt der Chef eines Möbel-Lädchen. Seit Tagen bleiben die Kunden weg. Manche haben sicherheitshalber ihre Schaufenster verrammelt.

Frau Danker, die nur beim Nachnamen genannt werden will, trägt eine rote Tasche, rote Schuhe, und ihren Mops-Mischling führt sie an einer roten Leine aus. Das sagt eigentlich alles über Haltung und Einstellung der Menschen im Karolinenviertel. 26 Jahre wohnt Frau Danker schon hier, nun muss sie seit Wochen täglich vorbei an der Staatsmacht. „Das ist eine Provokation“, schimpft die 60-Jährige. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit sei ausgehebelt worden, und jeder wisse doch, dass der Kapitalismus kein Modell für die Welt sei. „Hamburg hat es nicht verdient, mit solchen Bildern gezeigt zu werden“, sagt sie und weist auf die Absperrungen. Schulen haben geschlossen, erstmals seit 14 Jahren kann die jüdische Gemeinde im Kiez keinen Gottesdienst feiern. „Alle Eltern haben ihre Kinder aus dem Viertel gebracht“, erzählt Florian. Auch der 41-Jährige wohnt in der Passage. „Ein Wahnsinn.“ Heute wollen sie im Karolinenviertel den Verboten der Polizei trotzen: „G20 Bier holen“, heißt ihre Protestveranstaltung. Mit Humor wird alles etwas erträglicher.

Der Protest gegen den Gipfel ist vielfältig und kreativ: St. Paulis Kneipenwirte haben Trump, Putin und Erdoğan Hausverbot erteilt, am Mittwochabend hat es am Hafen einen großen „Rave“ gegeben, es wird getanzt und friedlich protestiert. Schon am Nachmittag waren Hunderte grau gekleidete Künstler durch die Innenstadt geschritten — und am Samstag werden Zehntausende zur Demo „Grenzenlose Solidarität statt G20“ erwartet.

Hamburg befindet sich im Ausnahmezustand. 38 Quadratkilometer gelten als Sicherheitszone, das sind fünf Prozent der Gesamtfläche. Wer kann, verlässt die Stadt. Geschäfte, Arztpraxen, Kanzleien bleiben geschlossen. Mit 20.000 Beamten und 3000 Fahrzeugen ist der G20-Gipfel der größte Polizeieinsatz in der Geschichte Hamburgs. Österreich, Frankreich und Holland haben Spezialkräfte geschickt. Aber auch 100.000 Gipfelgegner sollen am Ende da sein. Ärger gab es um die G20-Zeltlager, übernachten durften die Gegner in den Parks zunächst nicht. Im Süden, auf der anderen Elbseite, wurde eine schwer bewachte Gefangenensammelstelle eingerichtet, neun Richter sollen für schnelle Verfahren sorgen. Hamburg, meine Perle, wie es so schön heißt, ist für manchen im Moment die Hölle.

Nur ein Kilometer vom Karolinenviertel entfernt liegt das Schanzenviertel, der andere Hort des linken Widerstands. Mittendrin: die „Rote Flora“. Der Gebäudekomplex ist das Zentrum der Linksautonomen. Am Eingang hängt ein Schild: „No Cops, No Press, No Photos“ (keine Polizisten, keine Presse, keine Fotos). Drinnen wird der Protest generalstabsmäßig geplant: Es gibt Demo-Maps, man kann sich für „Action-Trainings“ anmelden, Schlafplätze werden vermittelt. Hier trifft man einen kleinen Mann mit Lederkappe: Er heißt Andreas Beuth, ist 64, Anwalt und eine Größe in Hamburgs Szene. Er verspricht: „Wir nehmen uns die Stadt zurück.“ Klingt wie eine Drohung, ist es auch. Beuth organisiert die Demo „Welcome to Hell“ (Willkommen in der Hölle). Rund 10.000 Autonome des Schwarzen Blocks ziehen unter diesem Motto am Donnerstagabend von St. Pauli möglichst nah ans Messegelände. Randale inklusive.

Unweit der „Roten Flora“ hängt ein Transparent: „Habt Euch lieb.“ Schwierig in diesen Tagen in Hamburg.