Gerangel im Autoland
Nach dem Willen des designierten grünen Regierungschefs Kretschmann soll Baden-Württemberg umgekrempelt werden.
Stuttgart. Die Schlagzeile hat im Autobauerland Baden-Württemberg nicht wenige aufgeschreckt: „Wir müssen mit weniger Autos in Deutschland auskommen“, wurde der designierte erste grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann zitiert.
Das ist harter Tobak, schließlich beschäftigen Daimler, Porsche und Audi sowie die Zulieferer rund 235.000 Menschen im Ländle. Doch nicht genug: Zuvor hatte es zwischen den künftigen Koalitionspartnern Grüne und SPD noch wegen der Verkehrspolitik gekracht. Denn die Genossen hatten den Grünen bescheinigt, sie seien „sehr ideologisch und realitätsblind, getreu dem Motto: Die Straße, mein Feind“.
Neben dem heftig umkämpften Bahnprojekt Stuttgart 21 ist auch die übrige Verkehrs- und Wirtschaftspolitik Zündstoff in dem historischen neuen Bündnis, das Kretschmann nach der ersten Verhandlungsrunde noch zur Liebesheirat erklärt hatte. Dass der 62-jährige Grünen-Vormann nur noch davon spricht, dass man verlobt, aber noch nicht im Stand der Ehe sei, zeigt, wie stark hinter den Kulissen gerungen wird.
So macht auch SPD-Landeschef Nils Schmid deutlich, dass ihm das erste große industriepolitische Signal des künftigen Regierungschefs in die falsche Richtung geht: „Klar ist doch: Jede baden-württembergische Landesregierung hat Benzin im Blut.“
Es bestehe zwar Einigkeit, dass die Autohersteller ihre Produktion auf umweltfreundlichere Fahrzeuge umstellen müssen. Aber selbstverständlich sei auch, dass es weiterhin einen hohen Bedarf an individueller Mobilität gebe. „Wir brauchen nicht weniger, sondern andere Autos“, betonte der 37-jährige SPD-Politiker.
Die dazu notwendige technische Innovation sei bisher stets zuerst für die Premiumfahrzeuge entwickelt worden. Deshalb, so die Botschaft der SPD, sei es nicht so sehr klug, darauf zu dringen, nur noch kleine Autos zu bauen, wie dies Kretschmann getan hatte.
Die Rolle als Juniorpartner der Grünen schmeckt einigen Genossen nicht. Dennoch hieß es am Montag, der Koalitionsvertrag sei nahezu perfekt. Bei der Bildungspolitik werde der Politikwechsel „am deutlichsten erkennbar“, so Kretschmann. Die Bildung solle von der Herkunft der Kinder und Jugendlichen so weit wie möglich entkoppelt werden.
Das Spektrum reicht Kretschmann zufolge von der frühkindlichen Förderung bis zur Abschaffung der Studiengebühren. Im schulischen Bereich wollen die Koalitionäre die Ganztagsschulen flächendeckend zur „Regelform“ ausbauen. Dafür sind bis zu 1.500 zusätzliche Lehrerstellen vorgesehen.
Zudem will Grün-Rot Ganztagsschulen zulassen, in denen bis zur zehnten Klasse gemeinsam gelernt werden kann. Neben dem Turboabitur in acht Jahren soll auch wieder ein neunjähriger Abschluss möglich sein.