Geringverdiener arbeiten 50 Wochenstunden und mehr
Berlin (dpa) - Jeder vierte Geringverdiener mit Vollzeitjob arbeitet in Deutschland mindestens 50 Stunden pro Woche, um seine Existenz zu sichern. Im Durchschnitt seien Vollzeit-Beschäftigte mit Niedriglöhnen 45 Wochenstunden im Einsatz - zwei Stunden mehr als alle anderen Vollzeitkräfte.
Dies geht aus einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervor. Dies sei nicht nur ein sozialpolitisches Problem, sagte Studienautor Karl Brenke der „Berliner Zeitung“ (Dienstag). Die Beschäftigten riskierten zudem auch gesundheitliche Schäden. SPD, Linke sowie Gewerkschaften erneuerten ihre Forderung nach einem flächendeckenden Mindestlohn.
„So lange Arbeitszeiten wie bei den Niedriglöhnern gibt es ansonsten nur am oberen Ende der Einkommensskala, also bei Gutverdienern in Vollzeit“, stellt Studienautor Brenke fest. Insgesamt arbeiten der Untersuchung zufolge fast 900 000 Geringverdiener mindestens 50 Wochenstunden. Besonders betroffen davon: Kraftfahrer, Lagerarbeiter und Beschäftigte im Gastgewerbe. Im Schnitt verdienen Vollzeitkräfte im Niedriglohnsektor 1350 Euro brutto.
Das DIW verweist auch auf das Arbeitszeitgesetz, nach dem die Wochenarbeitszeit nicht dauerhaft länger als 48 Stunden sein darf. Etwa die Hälfte der Geringbeschäftigten - und damit ein überdurchschnittlich hoher Anteil - sind Teilzeitkräfte oder Minijobber. „Die Leute wollen mehr tun, können es aber nicht und müssen aus Not einen Teilzeitjob oder eine geringfügige Beschäftigung annehmen“, folgert Brenke.
Als Geringverdiener gelten Arbeitnehmer, die weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns erhalten. 2010 lag diese Schwelle in Deutschland bei 9,26 Euro brutto. Insgesamt erhielten im Jahr 2010 rund 22 Prozent aller Arbeitnehmer einen Niedriglohn. Mehr als die Hälfte habe eine Tätigkeit ausgeübt, für die eine Lehre oder ein Hochschulabschluss nötig sei, so das DIW auf Datenbasis des Sozio-ökonomischen Panels. Zu diesen Beschäftigten gehörten etwa Verkäufer, Arzthelfer, Bäcker, Berufe im Gastgewerbe, Friseure und Pflegekräfte.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte, das Arbeitszeitgesetz schärfer zu kontrollieren. „Es ist offensichtlich, dass viele Arbeitgeber dieses Gesetz systematisch ignorieren und die Gesundheitsgefährdung ihrer Beschäftigten billigend in Kauf nehmen“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg, sprach von einem Skandal: „Arbeitszeiten von 50 Stunden und mehr Stunden je Woche sind gesetzeswidrig und menschenunwürdig.“ Er erneuerte die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde,.
Auch SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles forderte: „Wir brauchen dringend Löhne, die zum Leben reichen - auch bei normalen Arbeitszeiten. Dazu gehört ein gesetzlicher Mindestlohn, der diesen Namen verdient.“ Geringverdiener müssten ihren Lebensunterhalt sonst unter Umständen mit ihrer Gesundheit bezahlen.
„Die soziale Spaltung auf dem Arbeitsmarkt nimmt immer krassere Formen an“, kritisierte Jutta Krellmann von der Linken-Fraktion im Bundestag. Arbeitszeiten müssten nachhaltig begrenzt werden.