Grün-Rot will Baden-Württemberg umkrempeln
Stuttgart (dpa) - Der grün-rote Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg steht. Einen Monat nach ihrem historischen Wahlsieg verständigten sich Grüne und SPD am Mittwoch abschließend auf die gemeinsame Regierungsarbeit.
Der SPD-Landesvorsitzende Nils Schmid wird Vize-Regierungschef und sogenannter Superminister für Finanzen und Wirtschaft. Winfried Kretschmann soll am 12. Mai zum ersten grünen Ministerpräsidenten in Deutschland gewählt werden.
Bei der Verteilung der Ministerien kamen die Grünen dem kleineren Koalitionspartner am Mittwoch entgegen: Die SPD erhält ein Ressort mehr und besetzt mehrere Schlüsselministerien - auch wenn die Grünen wegen weiterer stimmberechtigter Regierungsmitglieder die Stimmenmehrheit am Kabinettstisch haben.
Die Grünen stellen überraschend den Minister für Verkehr und Infrastruktur und sind damit auch für das umstrittene Milliarden-Bahnprojekt Stuttgart 21 zuständig. Das Vorhaben ist der größte Zankapfel in dem Bündnis - die Grünen sind dagegen, die SPD dafür. Die Partner hatten sich auf eine Volksabstimmung im Herbst geeinigt, um das Dilemma zu lösen.
Der Koalitionsvertrag trägt den Titel „Der Wechsel beginnt“. Die Vereinbarung sieht einen raschen Ausstieg aus der Atomkraft, durchgreifende Bildungsreformen und Steuererhöhungen zur Finanzierung einer besseren Kinderbetreuung vor. Über den 88 Seiten langen Text stimmen am 7. Mai Sonderparteitage der Grünen in Stuttgart und der SPD in Sindelfingen ab. Fünf Tage später soll der 62-jährige Kretschmann zum Regierungschef gewählt werden.
CDU und FDP im Bund warnten vor einem Abstieg des Erfolgslandes Baden-Württemberg. „Wer auf der Erfolgsspur die Richtung wechselt, der wird zum Geisterfahrer“, sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe der „Stuttgarter Zeitung“. FDP-Generalsekretär Christian Lindner meinte: „Die Wähler, die wohl wegen Japan und Stuttgart 21 grün oder rot gewählt haben, bekommen nun Gleichheitspolitik und Kommandowirtschaft dazu.“
CDU-Landtagsfraktionschef Peter Hauk hielt Grün-Rot vor: „Statt mehr Bürgernähe gibt es mehr Ministerien und mehr Ministerposten.“ Er will zudem einen Verfassungsklage gegen den Volksentscheid über Stuttgart 21 prüfen.
Grünen-Vormann Kretschmann sprach hingegen von „einer Partnerschaft auf Augenhöhe“ für die kommenden fünf Jahre. Die Sozialdemokraten übernehmen sechs Ressorts. Die Grünen stellen neben dem Ministerpräsidenten vier Fachminister sowie zusätzlich im Staatsministerium einen Staatsminister, einen Staatssekretär und einen Staatsrat - die allesamt Stimmrecht in der Regierung erhalten.
Die SPD bekommt das wichtige Kultusministerium. Als heiße Kandidatin gilt die Mannheimer Schulbürgermeisterin Gabriele Warminski-Leitheußer. Kretschmann kündigte einen „echten Bildungsaufbruch“ an. Künftig soll es mehr Ganztagsschulen und als Ergänzung zum bisherigen Angebot auch die Gemeinschaftsschule bis zur Klasse 10 geben.
Die Grünen übernehmen zudem das Ressort für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft und kontrollieren damit auch die Atomkraftwerke im Land. Als Favorit auf den Posten gilt der Fraktionsvize und Umweltexperte Franz Untersteller (54). „Wir wollen uns dafür einsetzen, dass die alten Meiler nicht mehr ans Netz gehen“, sagte Kretschmann. Er fügte hinzu: „Wir werden dieses Land zum Musterländle für erneuerbare Energien machen.“
Die Grünen stellen außerdem den Wissenschafts- und den Agrarminister. Für das Ressort Wissenschaft gilt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Theresia Bauer (46) aus Heidelberg als gesetzt.
Die SPD-Spitze hat sich bereits auf einen Teil ihres Regierungspersonals geeinigt. Nach dpa-Informationen aus Parteikreisen soll der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Reinhold Gall (54), Innenminister werden. Für das Justizressort ist der zuständige Fraktionssprecher Rainer Stickelberger (60) vorgesehen. Für das Ressort Arbeit und Soziales kommt Fraktionsvize Katrin Altpeter infrage.
In der Finanzpolitik strebt Grün-Rot an, den von der schwarz-gelben Regierung hinterlassenen Schuldenberg abzutragen. Das Land soll von 2020 an keine neuen Kredite mehr aufnehmen und damit die auf Bundesebene geltende Schuldenbremse einhalten. Um die Kommunen beim Ausbau der Kinderkrippen zu unterstützen, soll die Grunderwerbsteuer von 3,5 auf 5 Prozent erhöht werden.