SPD-Führung verteidigt Verbleib Sarrazins in Partei
Berlin (dpa) - Angesichts heftiger interner Kritik hat die SPD-Führung ihre Entscheidung verteidigt, den früheren Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin nicht aus der Partei zu werfen.
Generalsekretärin Andrea Nahles sagte am Dienstag, Sarrazin habe „seine sozialdarwinistischen Äußerungen relativiert, Missverständnisse klargestellt und sich auch von diskriminierenden Äußerungen distanziert“. Doch Teile der Parteibasis laufen Sturm gegen einen Verbleib des ehemaligen Berliner Finanzsenators in der SPD. Erste Parteiaustritte wurden bekannt.
Sarrazin hatte mit umstrittenen Thesen zur Integrationsfähigkeit von Zuwanderern das Ausschlussverfahren provoziert. Nach seiner Erklärung, er sei vor allem fehlinterpretiert worden, hatten die Betreiber des Verfahrens vor Ostern überraschend ihre Ausschlussanträge zurückgezogen.
Nach einer dreieinhalbstündigen Sondersitzung des Vorstands von Sarrazins Berliner Landesverband am Dienstagabend sagte Nahles, es seien Meinungsunterschiede über den Verbleib Sarrazins in der SPD geblieben. Sie forderte zugleich ein Ende der Diskussion über die Entscheidung, Sarrazin nicht aus der Partei auszuschließen. Die politische Diskussion über seine Thesen werde aber weitergehen.
Der Landesvorsitzende Michael Müller sagte, das Parteiordnungsverfahren sei auch kein Instrument, um sich mit Sarrazin auseinanderzusetzen. Der Vorsitzender der Berliner Jungsozialisten, Christian Berg, warf der Landesspitze Führungsversagen vor.
Nahles, die die Bundespartei vor der Schiedskommission vertreten hatte, sagte im Deutschlandfunk, mit der gütlichen Einigung ohne Ausschluss Sarrazins sei ein „kluger Weg“ beschritten worden. Sarrazin habe sich „wieder auf den Boden der Meinungsfreiheit begeben, den man wohl aushalten muss in einer demokratischen Partei“.
Auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) schlug versöhnliche Worte an. „Jemand, der sich einsichtig zeigt, dem sollte man auch die Chance geben“, sagte der ehemalige SPD-Bundesvorsitzende der Ludwigshafener „Rheinpfalz“ (Mittwoch).
Der stellvertretende Parteichef Olaf Scholz befand den Verzicht auf weitere Verfahren in höheren Instanzen ebenfalls für „vernünftig“. Sarrazin habe vor der Berliner Schiedskommission die Forderung des SPD-Vorstandes nach Klarstellung erfüllt, sagte der Hamburger Bürgermeister der „Süddeutschen Zeitung“ (Mittwoch).
Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel kritisierte hingegen die Entscheidung, die Ausschlussanträge zurückzuziehen. „Ich hätte mir ein anderes Ergebnis des Verfahrens gewünscht, weil die sozialdarwinistischen Thesen von Thilo Sarrazin mit den Grundwerten der SPD unvereinbar sind“, sagte er der „tageszeitung“ (Mittwoch).
Aus Sicht des Innenexperten der Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, hat die Parteiführung kein gutes Bild abgegeben. „Es liefert kein überzeugendes Bild ab, wenn der Parteivorstand sich anfangs so auf seinen Rausschmiss festgelegt hat und das jetzt alles zurücknimmt„, sagte er der „tageszeitung“ (Mittwoch). „Dabei haben natürlich taktische Erwägungen eine Rolle gespielt“. Der Parteivorstand wisse, dass in der SPD das Denken Sarrazins weiter verbreitet sei, als es der Spitze lieb wäre.
In einer im Internet veröffentlichten „Berliner Erklärung“, die bis Dienstagmittag von einigen hundert Menschen unterzeichnet wurde, heißt es: „Nicht nachvollziehbar erscheint vor allem der Zickzackkurs der Partei.“
Der Gründer des „Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokraten“, Sergey Lagodinsky, und der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände (BAGIV), Mehmet Tanriverdi, kündigten ihren Parteiaustritt an. Tanriverdi bezeichnete in einem am Dienstag veröffentlichen Brief an Nahles und SPD-Chef Sigmar Gabriel die Entscheidung der SPD-Führung „als einen historischen Fehler“.
Sarrazin selbst sprach von einem „Sieg der Vernunft“ und der Diskussionskultur innerhalb der SPD. „Ich freue mich, dass wir zu einem einvernehmlichen Ergebnis gefunden haben. Schließlich bin ich seit 37 Jahren Mitglied der SPD und war dies stets mit Überzeugung“, sagte er der Zeitung „Die Welt“ (Dienstag).