Grüne setzen mit Realo-Politik aufs Regieren
Halle (dpa) - Die Grünen wollen mit Rückwind für den „Realo“-Flügel der Partei die Macht in den Ländern verteidigen und einen Politikwechsel im Bund einleiten. Der Parteitag in Halle stärkte am Wochenende den Pragmatikern und Realpolitikern um den wiedergewählten Vorsitzenden Cem Özdemir den Rücken.
Simone Peter vom linken Flügel wurde als Co-Chefin wie erwartet ebenfalls bestätigt, allerdings mit einem Dämpfer.
Das Spitzenduo will in den nächsten zwei Jahren mit einem „knallgrünen“ Programm bei den Wahlen antreten und sich vor allem in der Flüchtlings- und Sicherheitspolitik sowie beim Klimaschutz von Schwarz-Rot abgrenzen. Schärferen Terrorgesetzen wird eine Absage erteilt, Militäreinsätze im Zuge der Terrorbekämpfung werden aber nicht kategorisch abgelehnt. In der Asylpolitik mahnt die Partei Besonnenheit und Realismus an. Punkten wollen die Grünen auch mit Arbeitszeitmodellen und einem erweiterten Elterngeld.
Die Wiederwahl des grünen Spitzenduos kam nicht überraschend, es gab jeweils einen unbekannten Gegenkandidaten. Peter wurde dennoch mit nur 68 Prozent im Amt bestätigt. Im Vergleich zu ihrer letzten Wahl im Oktober 2013 verlor die 49-Jährige knapp acht Prozentpunkte. Der gleichaltrige Özdemir wurde mit 76,9 Prozent der abgegebenen Stimmen wiedergewählt. Ein Plus gegenüber seinen 71,4 Prozent von 2013.
Der dreitägige Parteitag mit mehr als 700 Delegierten stand vor allem im Zeichen der Terroranschläge und Flüchtlingskrise. Schärfere Sicherheitsgesetze lehnen die Grünen ab. Auf EU-Ebene sollten „etwaige Anfragen aus Frankreich sorgfältig“ geprüft werden. Peter erklärte, Terrorismus lasse sich nicht militärisch bezwingen. Sie fügte zugleich hinzu, eine Gesamtstrategie und ein UN-Mandat seien ein Minimum für mögliche Einsätze.
Bei der Zuwanderung werden Forderungen nach Obergrenzen auf nationaler oder europäischer Ebene eine Absage erteilt. Zugleich betont der Parteitag: „Dabei ist klar, dass nicht alle, die in Deutschland Asyl beantragen, auch bleiben können.“ Über diesen Satz wurde lange gestritten.
Die Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten als Teil des schwarz-roten Asylkompromisses wird kritisiert. Gefordert wird ein Investitionspakt zur Integration der Flüchtlinge. Zur Finanzierung schlagen die Grünen einen „Deutschlandfonds“ vor, „in den Staat und auf freiwilliger Basis auch Unternehmen einzahlen“.
In der Flüchtlingsdebatte hatte Özdemir in einer mit viel Beifall bedachten Rede auch reformunwillige Muslime attackiert. Mit Blick auf Terror und Gewalt sagte er: „Ich kann es auch nicht mehr hören, wenn der ein oder andere Islamvertreter quasi ritualisiert erklärt: Das alles hat nichts mit dem Islam zu tun.“
Neu gewählt wurde auch der Parteirat - ein Gremium führender Bundes- und Landespolitiker. Dabei war das Abschneiden der Bewerber für die Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl 2017 interessant. Die Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt erhielt magere 64,5 Prozent der Stimmen. Co-Fraktionschef Anton Hofreiter kam auf 72,19 Prozent, Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck auf 65,3. Özdemir und Peter ließen offen, ob auch sie bei der im September 2016 beginnenden Ur-Wahl der Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl antreten.
Mit großer Mehrheit stimmte der Parteitag der Forderung zu, das Elterngeld von bisher 14 auf 24 Monate auszuweiten. Beim Klimaschutz wurde das Ziel bekräftigt, bis zum Jahr 2030 ausschließlich erneuerbare Energiequellen zu nutzen. Özdemir bot die Grünen als verlässlicher Partner der Unternehmen an. Es gebe keinen Grund, das Thema Wirtschaftskompetenz „Schwarzen oder gar Roten“ zu überlassen: „Wir machen da auch eine Anmeldung.“