„Ich gehe von mehr als drei NSU-Tätern aus“
Nadja Lüders, Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zum NSU, über rechte Strukturen im Land und Erinnerungslücken.
Düsseldorf. Zwei Bombenanschläge in Köln und der Mord an dem türkischstämmigen Kioskbesitzers Mehmet Kubasik aus Dortmund werden dem Nationalsozialistischem Untergrund (NSU) in Nordrhein-Westfalen zur Last gelegt. In München steht deshalb Beate Zschäpe (40) vor Gericht, die als letzte Überlebende des vermeintlichen NSU-Trios aus Zwickau gilt.
In NRW soll nun ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss klären, ob es tatsächlich nur drei Taten gibt, die dem NSU zugerechnet werden können und ob es möglicherweise weitere, bis heute unbekannte, Helfer im Land gibt, die die mutmaßlichen Rechtsterroristen unterstützten. Ein Gespräch mit der Vorsitzenden des Ausschusses, der Landtagsabgeordneten Nadja Lüders (44, SPD).
Frau Lüders, glauben Sie eigentlich noch an die These, der NSU habe nur aus drei Mitgliedern bestanden?
Nadja Lüders: Mit Glauben hat das wenig zu tun, sondern mit Erkenntnissen. Da im Münchener Prozess ja ein paar mehr Leute angeklagt sind, die zumindest Hilfe geleistet haben sollen, gehe ich davon aus, dass es sich um mehr als drei Täter handelt. Es wird zumindest Unterstützerhandlungen gegeben haben.
Auch in Nordrhein-Westfalen?
Lüders: In den Einsetzungsbeschluss für den Ausschuss haben wir ja den Anschlag in Düsseldorf-Wehrhahn und die Polizistenmorde von Dortmund (im Jahr 2000 erschoss der Neonazi Michael Berger in der Stadt drei Polizisten und anschließend sich selbst; Anm. d. Red) mit aufgenommen. Da wollen wir sehr genau hinschauen. Wir können aber nicht jede unaufgeklärte Tat auf mögliche Zusammenhänge mit Rechtsextremen überprüfen. Ansonsten würden wir ja nie fertig mit unserer Arbeit. Mir ist wichtig, dass wir ein Ergebnis vorweisen und in die Zukunft gucken können.
Wie sieht das Ergebnis idealerweise aus?
Lüders: Wir sind ja nicht bei „Wünsch dir was“. Aber ich würde mir dennoch erhoffen, dass wir am Ende mehr über die rechtsextremen Strukturen in Nordrhein-Westfalen und deren Vernetzung herausfinden würden. Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es diese Strukturen auch heute noch gibt. Und wir müssen sehen, welche strafrechtlichen und gesellschaftlichen Gefahren von ihnen ausgehen. Mit diesem Ergebnis könnten wir dann in die Zukunft schauen und entsprechende Handlungsempfehlungen geben.
Die bisher bekannten Taten liegen sehr lange zurück. Besteht da überhaupt noch eine realistische Chance, etwas Neues zu Tage zu fördern?
Lüders: Ja und Nein. Im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundes wurden die NRW-Aspekte in drei Tagen abgehandelt, wir können uns da hoffentlich mehr Zeit nehmen und genauer hinsehen. Wer weiß, was wir da alles herausfinden. Möglicherweise können wir aber auch neue Erkenntnisse aus dem Münchener Prozess ziehen. Dort laufen ja gerade die Zeugenbefragungen zum Anschlag auf der Kölner Keupstraße.
Stichwort Keupstraße: Die Münchener Zeugenaussagen zum Umgang der Polizei mit den Anschlagsopfern sind abenteuerlich. Die Menschen wurden in ihrer Not vielfach behandelt wie Verbrecher . . .
Lüders: Das ist auch Teil unserer Arbeit. Wir wollen untersuchen, wie mit den Opfern umgegangen wurde. Und wir werden sehen, was wir daraus lernen können, damit so etwas nicht wieder passiert. Aber wir müssen uns nicht nur die Behörden anschauen, sondern beispielsweise auch die Medien. Das Wort von den „Döner-Killern“ stammt aus der Presse und auch die angebliche Nähe der Opfer zu mafiösen Strukturen wurde oft in den Medien thematisiert. Da gab es sicherlich eine Art Wechselspiel.
Die Herren Schily und Behrens, damals SPD-Innenminister von Bund und Land, haben schon einen Tag nach dem Anschlag einen rechten Hintergrund ausgeschlossen.
Lüders: Auch das werden wir uns ansehen. Natürlich muss man sich fragen, wie die Innenminister zu einer solchen Einschätzung gekommen sind. Das hat gewiss mit der Zuarbeit von unten zu tun. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Minister von sich aus eine Stellungnahme abgeben, ohne vorher einen Bericht angefordert zu haben.
Der Abschlussbericht des PUA im Bund spricht von Behördenversagen. Zynisch gesagt, kann man nur hoffen, dass es wirklich Versagen und nicht aktives Wegschauen war . . .
Lüders: Mit Verschwörungstheorien habe ich so meine Probleme. Natürlich klingt es zunächst unerklärlich, dass der NSU über ein Jahrzehnt unbehelligt morden konnte. Aber all das versuchen wir im Ausschuss aufzuklären.
Im NSU-Prozess berufen sich die Zeugen aus der rechten Szene auf Erinnerungslücken. Auch Polizisten und Geheimdienstlern fehlt es an Erinnerungen. Damit werden Sie es möglicherweise auch zu tun bekommen.
Lüders: Hoffentlich im Sommer wollen wir mit den Befragungen beginnen. Dann werden wir sehen, wer sich alles nicht erinnern kann oder will. Denn auch dies ließe ja bestimmte Rückschlüsse zu.