Türkei Integrationsministerin zum Türkei-Referendum: „Mir tut das sehr weh“
Integrationsministerin Özoguz spricht im Interview über das Referendum und das Abstimmungsverhalten der Deutsch-Türken.
Berlin. Aydan Özoguz, in Hamburg geborene Tochter türkischer Gastarbeiter, hatte auf einen anderen Ausgang des Referendums gehofft. Dennoch warnt die Integrations-Staatsministerin im Kanzleramt vor allzu schnellen Schlüssen. Unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff sprach mit der 49-jährigen SPD-Politikerin.
Wie bewerten Sie den Ausgang des Referendums?
Özoguz: Erdogan hat wirklich alles in die Waagschale geworfen und trotzdem nur diesen hauchdünnen Sieg errungen, mit dem er nun ein komplett neues System einführen will. Das wird für ihn schwierig werden.
Die Türkei ist das Land Ihrer Eltern. Welche persönlichen Gefühle haben Sie angesichts der Entwicklung?
Özoguz: Mir tut es sehr weh, das Land derart gespalten zu sehen. Ich spüre und fühle eine riesige Unsicherheit bei den Menschen. Die Türkei steht vor schwierigen Zeiten.
Wie muss Europa reagieren?
Özoguz: Bisher ist es Erdogan leider immer gelungen, mit Beleidigungen und Provokationen genau jene Reaktionen zu erzeugen, die er sich gewünscht hat. Er konnte sich dann immer als Retter der Nation aufspielen. Ich hoffe jetzt, dass Europa sehr nüchtern auf die Abstimmung reagiert. Wichtig ist auch, dass wir Erdogan nicht mit der Türkei gleichsetzen. Vergessen wir nicht: Die Hälfte der Türken hat mit Nein gestimmt.
Aus der Union kommt die Forderung, die EU-Beitrittsgespräche zu beenden.
Özoguz: Noch bevor ein amtliches Ergebnis vorliegt, ist jede derartige Forderung überzogen und verfrüht.
Aber kann denn ein Land mit einer Präsidialdiktatur je Mitglied der EU werden?
Özoguz: Man muss abwarten, was Erdogan mit der neuen Machtfülle macht. Die Entwicklungen der vergangenen Monate waren zum Beispiel auch so schon sehr bedenklich — auch mit der jetzigen Verfassung. Das Präsidialsystem allein ist sicher kein Ausschlussgrund. Die Frage ist, wie es weiter geht. Die Einführung der Todesstrafe ist klar eine rote Linie.
Über 60 Prozent der türkischen Migranten in Deutschland haben mit Ja und damit für Erdogan gestimmt. Gibt es da ein Problem beim Demokratieverständnis?
Özoguz: Ich warne vor solchen pauschalen Rückschlüssen. Die meisten hier lebenden Türken sind überhaupt nicht zur Wahl gegangen. Unter dem Strich haben nur etwa 14 Prozent aller hier lebenden Deutsch-Türken mit Ja gestimmt. Das ist klar nicht die Mehrheit. Das muss man mal zur Kenntnis nehmen.
Es gibt aber den Eindruck, dass es eine nationalistisch-türkische Parallelgesellschaft in Deutschland gibt.
Özoguz: Leider hat es in jeder Gruppe hier in Deutschland und anderswo immer Nationalisten gegeben. Das ist keine Besonderheit der Deutsch-Türken, so wenig es uns gefallen kann.
Schaden die Vorgänge dem Verhältnis zwischen Deutschen und Türken?
Özoguz: Was schadet, sind die pauschalen Urteile. Ich rufe zur Mäßigung auf. Man muss sich erstens genau die Zahlen anschauen und zweitens auch die Motive. Wenn in Deutschland Menschen AfD wählen, versucht man ja auch, mit ihnen umzugehen, um sie von einem anderen Weg zu überzeugen. So muss es auch mit denen geschehen, die jetzt in Deutschland für Erdogans Präsidialsystem gestimmt haben. Man kann das kritisieren, auch hart, aber man darf nicht immer wieder so tun, als kämen diese Menschen von einem anderen Stern.