Interview: Schäuble nennt Enthüllungen über Steueroasen „Wasser auf unsere Mühlen“

Finanzminister Schäuble begrüßt die Enthüllungen über Steueroasen. Im Kampf gegen Hinterziehung setzt er auf Kooperation.

Berlin. Finanzminister Wolfgang Schäuble (70/CDU) sieht sich durch die Enthüllungen über Steueroasen in seiner Politik bestätigt. Im Gespräch mit unserer Zeitung erläutert er auch, warum die Euro-Krise eine Chance für die Stärkung Europas ist.

Herr Schäuble, Italien ist politisch blockiert, Zypern droht ein vergleichbar starker ökonomischer Absturz wie Griechenland. Müssen wir uns auf eine europäische Dauerkrise einstellen?

Wolfgang Schäuble: Klar, man kann immer das Glas als halbleer betrachten. Man kann das Bild aber auch ganz anders zeichnen. Wir haben seit dem Ausbruch der Banken- und dann der Staatsschuldenkrise im Nachgang der Lehman Brothers Pleite sehr große Schritte hin zu einer stabileren, wettbewerbsfähigeren, zukunftsträchtigeren Wirtschafts- und Währungsunion gemacht. Europa hat sich besser aufgestellt. Die Entscheidungsprozesse wurden gestrafft. Die Vorsorge verbessert. Die richtigen Akzente bei der Reform der nationalen Wirtschaften gesetzt.

Hat Sie das Ausmaß der jüngsten Enthüllungen über Steueroasen überrascht?

Schäuble: Die Veröffentlichungen begrüße ich, denn all unsere Aktivitäten hin zu einer Bekämpfung von Steueroasen und Steuerhinterziehung werden dadurch gestärkt. Wir haben bereits zahlreiche Abkommen zum Informationsaustausch geschlossen, ich habe mit meinen amerikanischen, britischen und französischen Kollegen im Rahmen der OECD und G20 eine Initiative auf den Weg gebracht, die es den internationalen Konzernen in Zukunft erschweren wird, ihre gerechte Steuerlast durch Steuersparmodelle zu verkürzen. In der EU bemüht sich die Bundesregierung seit Jahren um einen automatischen Informationsaustausch. Ich glaube, dass diese Veröffentlichungen Wasser auf unsere Mühlen sind.

Meinen Sie damit auch die Kehrtwende Luxemburgs, nun doch verstärkt mit ausländischen Steuerbehörden zu kooperieren?

Schäuble: Ich habe bereits unmittelbar nach Amtsantritt wieder den Draht nach Luxemburg neu gesponnen, und wir haben kurz danach ein bilaterales Abkommen zum Informationsaustausch geschlossen. Wir stehen im engen Dialog mit Luxemburg und haben das Thema auch beim Treffen der deutschsprachigen Finanzminister in Berlin vor ein paar Wochen diskutiert. Ich begrüße jeden Schritt hin zu einem automatisierten Informationsaustausch.

Die Steuergewerkschaft schätzt das Finanzvolumen allein durch deutsche Steuerhinterzieher weltweit auf rund 400 Milliarden Euro. Wird der deutsche Fiskus davon jemals etwas wiedersehen?

Schäuble: Sehen Sie, das Wesen der Steuerhinterziehung beinhaltet ja gerade, dass man keine verlässlichen Daten und Zahlen hat, und daher kenne ich diese Zahlen nicht und kann sie auch nicht bestätigen. Wir müssen aber davon ausgehen, dass es in erheblichem Umfang Steuerhinterziehung gibt. Genau deswegen haben wir ja alle unsere Aktivitäten entfaltet. Es macht wenig Sinn, einfach nur verbal um sich zu schlagen. Dadurch kommt nicht ein einziger Cent zusätzlich in die deutschen Kassen. Nein, wir müssen den Weg der internationalen Verhandlungen, Kooperation und Verträge gehen, um wirklich etwas zu ändern. Und das tun wir. Und dafür, dass dann im Endeffekt das Geld in den deutschen Kassen landet, sind letztendlich die Steuerverfolgungsbehörden und die Staatsanwaltschaften der Länder zuständig.

Was muss konkret geschehen, damit der Traum von einem gemeinsamen Europa nicht endgültig platzt wie eine Seifenblase?

Schäuble: Europa und der Euro sind in letzter Zeit maßgeblich stabilisiert worden, und wir stehen sehr viel besser da, als noch vor wenigen Jahren. Ich bin der Auffassung, dass wir in wenigen Jahren rückblickend feststellen werden, dass diese Krise der Ausgangspunkt für eine Stärkung Europas war und dass Europa in der Krise sehr viel stärker zusammengewachsen und -gerückt ist. Wünschen würde ich mir, dass wir auch bei den Institutionen noch mehr machen. Wir müssen diese weiterentwickeln. Das Europäische Parlament als Vertreter des Souveräns muss weiter gestärkt werden. Die Kommission und der Rat könnten sich weiterentwickeln. Ein erster, wichtiger Schritt wäre die Wahl des Präsidenten der EU-Kommission durch die Bevölkerung Europas. Das würde die europäische Diskussion ungemein beleben und auf eine neue Ebene bringen. Einmal mehr: Der europäische Kelch ist mehr als halbvoll und nicht halbleer. Europa hat seine beste Zeit noch vor sich.