Israelis nehmen Grass nicht wichtig
Regierungschef verwahrt sich gegen Iran-Vergleich.
Tel Aviv. Günter Grass ist in Israel vielleicht das Schlimmste passiert, was einem Dichter zustoßen kann: Kaum jemand interessiert sich für sein Gedicht „Was gesagt werden muss“. Die meisten Reaktionen seien eher achselzuckend nach der Art des jiddischen Ausdrucks: „Hot er gesogt“, was so viel bedeute wie ein augenzwinkerndes „Na wenn schon“, sagte der israelische Historiker und Deutschlandkenner Tom Segev. Grass sei in Israel einfach keine „bedeutende moralische Institution“.
Der Rest ist überwiegend Schweigen oder pflichtgemäßer Protest: Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der sonst auch schon mal scharf austeilen kann, verwahrte sich lediglich gegen die „schändliche Gleichstellung von Israel und dem Iran“. Das sage wenig über Israel aber desto mehr über Grass selbst aus. Die Medien berichten — wenn überhaupt — überwiegend nachrichtlich, und die Menschen auf der Straße sind mit ganz anderen Dingen beschäftigt.
„Israelis regen sich nicht so sehr darüber auf wie die Deutschen“, berichtet auch Ziv Lewis vom Verlagshaus Kinneret in Tel Aviv. Dort sind alle Schriften von Grass veröffentlicht worden. „Wir stehen zu ihm als Schriftsteller. Zu seinem Gedicht äußern wir uns aber nicht“, fügte Lewis hinzu. Der mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnete israelische Schriftsteller David Grossman wollte sich an der Diskussion nicht beteiligen. Er habe noch keine englische Fassung des Gedichts zu sehen bekommen.
Grass habe mit seinen Anmerkungen zum Atomstreit zwischen Israel und dem Iran auch „nichts Neues in die Diskussion“ eingebracht, meint Segev: „Er weiß absolut nichts. Was soll das denn? Die Vernichtung des iranischen Volkes? Niemand in Israel hat jemals so etwas gefordert“, sagte Segev. Grass komme ihm pathetisch und eitel vor. Antisemitisch finde er ihn nicht, wohl aber viele Israelis. „Hätte das Gedicht tatsächlich wie angekündigt in der „New York Times“ gestanden, dann hätte es sicher mehr Aufruhr gegeben.“
Am schärfsten fiel noch die bisher einzige offizielle Reaktion des israelischen Staates aus. Der Gesandte der israelischen Botschaft, Emmanuel Nahshon, in Berlin sagt: „Was gesagt werden muss, ist, dass es zur europäischen Tradition gehört, die Juden vor dem Pessach-Fest des Ritualmords anzuklagen.“