Jobcenter wollen kranke Hartz-IV-Empfänger schärfer kontrollieren
Nürnberg/Berlin (dpa) - Hartz-IV-Empfänger, die häufig Jobcenter-Termine oder Vorstellungsgespräche wegen einer Erkrankung platzen lassen, müssen sich auf schärfere Kontrollen einstellen. Überführten Blaumachern soll das Arbeitslosengeld gekürzt werden.
Bei einer Häufung von Kurzerkrankungen sind Jobcenter seit dem 1. April angewiesen, den Medizinischen Dienst der Krankenkassen einzuschalten. Grundlage sei eine Vereinbarung zwischen der Bundesagentur, den Kommunen und den gesetzlichen Krankenkassen, sagte eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA), die einen entsprechenden Bericht der „Bild“-Zeitung“ (Montag) bestätigte. Es gibt viel Kritik.
Zahlen darüber, wie oft wichtige Termine von Arbeitssuchenden wegen kurzfristiger Erkrankungen platzen, liegen der Bundesagentur nicht vor. Dass es solche Fälle gebe, sei aber in den Jobcentern unstrittig, sagte die BA-Sprecherin. Die Vermittler hätten schon immer die Möglichkeit gehabt, den Medizinischen Dienst der Krankenkassen einzuschalten. „Mit der Vereinbarung ist nun der Verfahrensablauf, die Kostenfrage und die Datenübermittlung zwischen den Jobcentern und Krankenkassen klarer geregelt.“
Formblätter machten eine Gesundheitsprüfung zu einem ernstzunehmenden Kontrollinstrument - von dem sich die BA eine präventive Wirkung erhoffe. „Wir sagen den Vermittlern ganz klar: Lasst euch nicht von Leuten auf der Nase herumtanzen, die immer dann krank sind, wenn wir mit ihnen etwas vorhaben“, sagte die Sprecherin.
Für den Linken-Politiker Klaus Ernst ist die BA-Anordnung „eine Anmaßung und Ausdruck einer Unkultur des Misstrauens“. Die Entscheidung, einen Patienten krankzuschreiben, treffe immer noch der Arzt und nicht die BA. „Hier wird ganz offensichtlich nur nach einem zusätzlichen Vorwand gesucht, um Geld einzusparen“, sagte Ernst, der Mitglied im Wahlkampfteam seiner Partei ist. Linkspartei-Chefin Katja Kipping kündigte in den Zeitungen der „WAZ“-Gruppe (Dienstag) an, ihre Partei werde „alle juristischen und politischen Hebel nutzen, um das zu kippen“. „Schnüffelei im Ärztezimmer ist inakzeptabel.“
Auch Grünen-Chefin Claudia Roth kritisierte die verschärften Kontrollen. „Wir halten das für den falschen Weg“, sagte sie in Berlin. „Das Fördern muss wieder in den Vordergrund, es muss mehr Angebote geben.“ Die Grünen plädieren deshalb dafür, die Sanktionen bis zu einer Reform des Hartz-IV-Systems auszusetzen.
Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Köhler, sprach sich ebenfalls gegen die Maßnahmen aus: Die Bundesagentur sei dabei, „durch bürokratische Kontrollmaßnahmen ungerechtfertigtes Misstrauen gegen die Ärzteschaft“ zu schüren. Atteste und Krankschreibungen würden unter medizinischen Gesichtspunkten ausgestellt.
Mit den verschärften Kontrollen reagieren die Jobcenter der BA-Sprecherin zufolge keineswegs auf eine Zunahme von Erkrankungen oder eine auffällige Häufung fragwürdiger Krankmeldungen unter Hartz-IV-Empfängern. Im März hätten sich etwa 68 000 von ihnen krankgemeldet - der Höchststand seit Januar 2012. „Das hängt aber wohl eher damit zusammen, dass in diesem Frühjahr die Zahl der Erkrankungen in der ganzen Gesellschaft hoch ist.“
Das Erwerbslosenforum Deutschland in Bonn rügte die verschärften Gesundheitskontrollen als „neue Hetzkampagne“ gegen Bezieher von Hartz IV. Sie zeigten, wie unsensibel die Bundesagentur mit kranken Menschen umgehe, erklärte Sprecher Martin Behrsing. Gerade Menschen in Armut seien signifikant häufiger krank.