Jürgen Trittin im Interview: „Strompreise sind manipuliert“

Jürgen Trittin will mehr Transparenz in Deutschland. Sein Verdacht: Markt wird durch An- und Verkäufe gesteuert.

Berlin. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin ist optimistisch, dass es zu einer Einigung über ein atomares Endlager kommen wird. Allerdings sieht er auf dem Weg dahin noch einige Fragen offen.

Herr Trittin, Japan ist zeitweise ganz ohne Atomstrom ausgekommen. Könnte das Land den Deutschen beim Atomausstieg zuvor kommen?

Jürgen Trittin: Wie lang ein Umstieg dauert, muss jedes Land für sich selbst festlegen. Fest steht: Immer mehr Japaner wollen den Umstieg. Der jetzige Wiedereinstieg zeigt aber, dass Japans Regierung leider nichts aus der dreifachen Katastrophe in Fukushima gelernt hat — auch wenn sich die Zahl der wieder in Betrieb genommenen AKW bescheiden ausnimmt. Anstatt die Sorgen der Bürger ernst zu nehmen und die erdbebengefährdeten AKW still zu legen, nimmt sie nun diese Kraftwerke wieder ans Netz. Trotz zahlreicher Versprechungen im letzten Jahr wurde weder in den Ausbau der erneuerbaren Energien und in Energiesparen investiert noch die Sicherheit der Atomkraftwerke soweit möglich verbessert.

Wird die Energiewende die deutschen Steuerzahler noch teuer zu stehen kommen, weil die Betreiber von Atomkraftwerken auf Entschädigung klagen?

Trittin: Die Klage wird keinen Erfolg haben. Die vier großen Energiekonzerne haben 2001 — mit Unterschrift ihrer Vorstände — einer Laufzeitbegrenzung für ihre Atommeiler von 22 Jahren zugestimmt. Eigentlich wollen sie nur der Aktionärsgemeinschaft signalisieren: Seht her, wir haben alles versucht, aber die bösen Gerichte haben es verhindert.

Entdecken auch die Konzerne die Vorteile des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG)? RWE etwa will jetzt Supermärkte und Kliniken mit Photovoltaik ausstatten.

Trittin: Ich habe mich immer gewundert, dass die Stromkonzerne die Möglichkeiten des EEG nicht genutzt haben. Aber das lag auch daran, dass sie früher auf Eigenkapitalrenditen von 15 Prozent gesetzt haben. Dermaßen hohe Renditen waren und sind mit dem EEG und seiner strengen Kostenbegrenzung nicht zu machen. Deshalb haben sie in Windparks in Schottland investiert, wo das Quotenmodell, das die FDP so favorisiert, größere Gewinnmargen ermöglichte. Wenn die Konzerne jetzt das EEG entdecken, hat das mit ihren sinkenden Gewinnen dort zu tun und dem Verlust an Marktanteilen. Das EEG ermöglicht ihnen zwar keine hohe Rendite, aber immerhin eine nachhaltige Investition.

Wann wird es mit dem neuen Bundesumweltminister Peter Altmaier zu einem Endlagersuch-Gesetz für den Atommüll kommen?

Trittin: Eine Einigung ist möglich, wenn die Dissense aufgelöst werden. Hier sind noch vier Punkte offen: Wie gehen wir mit Gorleben um? Welche wissenschaftlichen Kriterien muss ein Endlager erfüllen? Wie viele mögliche Standorte werden untersucht? Und: Wer untersucht?

Ist ein Erkundungsmoratorium in Gorleben die Voraussetzung, dass sich Länder und Bund einigen?

Trittin: Es gibt einen Grundkonsens zwischen denen, die verhandeln. Der heißt: Wenn wir mit der Suche aufgrund der Kriterien des Erkundungsgesetzes beginnen, gehen wir von einer weißen Landkarte aus — ohne Vorfestlegungen. Alle möglichen Standorte sind deshalb gleich zu behandeln, unabhängig davon, ob sie schon teilerkundet worden sind oder nicht.

Der Atomausstieg als deutscher Sonderweg — eine Sackgasse?

Trittin: Im Gegenteil. Investitionsentscheidungen in ganz Europa gehen ganz klar in Richtung erneuerbare Energien. Die EU-Kommission hat noch zu Zeiten der rot-grünen Koalition in Deutschland das Ziel vorgegeben, dass bis 2020 20 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen sind. Das kann, wenn es nicht erreicht wird, mit empfindlichen Strafzahlungen belegt werden. Ich bin überzeugt, dass wir in Europa in zehn bis 15 Jahren einen drastisch höheren Anteil an Strom aus Erneuerbaren und deutlich immer weniger Atomstrom haben werden.

Muss man sich mit steigenden Strompreisen abfinden?

Trittin: Wir schlagen eine Markttransparenzstelle vor, um einigen Merkwürdigkeiten auf den Grund zu gehen. Es gibt den Verdacht, dass die Strompreise durch gezielte An- und Verkäufe manipuliert sind. Denn eigentlich sinken die Strompreise in Deutschland an der Börse seit dem Atomausstieg im Tageshandel und bei mittelfristigen Kontrakte gefallen. Gleichwohl steigen die Endverbraucherpreise, obwohl die Steuerlast nicht höher geworden ist.