Kinderehen in Deutschland: 361 Verheiratete unter 14 Jahren
Berlin (dpa) - Neue Zahlen haben der Debatte um Kinderehen in Deutschland neue Nahrung gegeben. „Niemand darf zu einer Ehe gezwungen werden, erst recht keine Kinder“, sagte Heiko Maas (SPD). Inzwischen leben fast 1500 verheiratete Kinder und Jugendliche in Deutschland.
361 von ihnen sind sogar jünger als 14 Jahre alt, wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Grünen hervorgeht. „Wir müssen alles tun, um Kinder und Jugendliche vor Missbrauch und Zwangsheirat besser zu schützen“, sagte Maas. Zuerst hatten die Zeitungen der Funke Mediengruppe darüber berichtet.
Fast 1000 der in Deutschland lebenden verheirateten ausländischen Minderjährigen seien jedoch älter als 16 Jahre, sagte die Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katja Dörner. Ehen in diesem Alter lässt auch das deutsche Recht in Ausnahmefällen zu. Bei den Kindern unter 14 Jahren sei die Rechtslage dagegen klar: „Diese Ehe sind in Deutschland nicht zulässig“, sagte Dörner.
Der Jurist und Direktor des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa, Mathias Rohe, sagte: „Wenn das Mädchen jünger als 14 Jahre alt ist, muss das Paar getrennt werden. Denn wenn die sexuellen Beziehungen fortgesetzt werden, ist das nach unserem Strafrecht eine Straftat.“ Für die Gruppe der 14- bis 16-Jährigen muss laut Dörner geprüft werden, „ob eine gesetzliche Regelung notwendig ist und die Möglichkeit geschaffen wird, diese Ehen auch gegen den Willen der Betroffenen aufzuheben“.
Am Montag hatte eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu Kinderehen ihre Arbeit aufgenommen. Sie soll „noch in diesem Jahr einen konkreten Vorschlag auf den Weg bringen“, sagte Maas. In Deutschland sind Ehen derzeit grundsätzlich erst mit der Volljährigkeit erlaubt - in Ausnahmefällen aber schon mit 16 Jahren. Union und SPD hatten sich dafür ausgesprochen, diese Ausnahmen abzuschaffen.
Der Jurist Rohe sagte: „Wir müssen nicht zwingend das Mindestalter auf 18 Jahre anheben, wie von manchen gefordert.“ Möglich sei auch, Ehen ab 16 Jahren zuzulassen - „aber eben nur im Einzelfall und nur unter Aufsicht der Jugendbehörden“. Dabei müsse man jedoch auch auf die Praxistauglichkeit achten: Problematisch werde es nämlich, wenn den jungen Frauen durch eine neue Regelung etwa die Unterhaltsansprüche gegen ihren Ehemann genommen würden.
Auf jeden Fall seien „klare, leicht handhabbare rechtliche Regeln“ für den Umgang mit Kinderehen nötig - auch für solche, die informell in Deutschland geschlossen wurden. Denn viele Verwaltungen seien mit der zunehmenden Zahl der Fälle inzwischen völlig überfordert.
Im Ausländerzentralregister waren Ende Juli 1475 minderjährige Ausländer mit dem Familienstand „verheiratet“ gespeichert. Bei den meisten (1152) handelte es sich um Mädchen. Sie dürften bereits in der Heimat mit einem Erwachsenen verheiratet worden sein. Es gibt aber auch Fälle, in denen Jungs zwangsverheiratet werden - etwa wenn die Familie befürchte, „dass sie dem eigenen Geschlecht zugetan sein könnten, und sie damit auf den - in Anführungszeichen - „rechten Weg“ gebracht werden sollen“, sagte Rohe.
Die größte Gruppe der minderjährig Verheirateten stammt aus Syrien (664). Weitere Herkunftsstaaten sind Afghanistan (157), Irak (100), Bulgarien (65), Polen (41), Rumänien (33) und Griechenland (32). Die Dunkelziffer dürfte aber höher liegen.
Wichtiger als die Religion sind für die Schließung von Kinderehen laut Rohe „streng patriarchalisch geprägte Lebensformen in Großfamilienverbänden“ sowie Armut und Bildungsferne. Man finde Kinderehen etwa in bestimmten muslimischen Milieus, bei Jesiden im Irak, bei Roma auf dem Balkan oder im hinduistischen Indien.
Das Oberlandesgericht Bamberg hatte im Mai die Ehe einer Syrerin, die im Alter von 14 mit einem Cousin verheiratet worden war, als wirksam anerkannt. In Deutschland wird seitdem debattiert, ob solche Kinderehen im Widerspruch zu Grundrechten stehen.
Nach syrischem Recht sei die Ehe wirksam geschlossen worden, hieß es in dem Urteil aus Bamberg. In diesem Fall habe ein ausländisches Gericht zwar die Voraussetzungen für die Ehe geprüft, sagte Rohe. „Da würde ich aber nicht davon ausgehen, dass die wirklich das Kindeswohl im Auge hatten. Sondern hier werden in aller Regel die Familieninteressen mit berücksichtigt.“ Die Stadt Aschaffenburg hat beim Bundesgerichtshof inzwischen Beschwerde gegen das Urteil eingelegt.